Die Treibjagd
Kühnheit ihrer gegenseitigen Geständnisse, – all' diese gefährliche Vermengung vereinigte sie schließlich mit einem eigenthümlichen Bande, welches die Freuden der Freundschaft beinahe zu fleischlichen Genüssen gestaltete. Seit Jahren hatten sie sich einander ergeben und der brutale Akt selbst war nichts weiter gewesen, als der Abschluß dieser ihnen selbst unbewußten Liebeskrankheit. Inmitten der tollen Welt, welche sie umgab, war ihre Schuld wie auf einem von zweideutigen Säften strotzenden Düngerbeete gediehen; sie hatte sich mit einem seltsamen Raffinement entwickelt, inmitten von ganz eigenartigen Bedingungen des Lasters.
Wenn der große Landauer sie nach dem Bois führte und sie dort langsam durch die Alleen rollten, wobei sie sich allerlei Zweideutigkeiten in's Ohr flüsterten und aus ihrer Kindheit Erinnerungen hervorholten, die für Ausflüsse des Instinkts gelten konnten, so war dies nichts weiter als eine uneingestandene Befriedigung ihrer Wünsche. Sie fühlten sich gewissermaßen schuldig, als hätten sie sich flüchtig berührt und selbst diese merkwürdige Schuld, diese Mattigkeit, welche aus ihren schlüpfrigen Unterhaltungen resultirte und ihnen eine wollüstige Erschöpfung bereitete, berührte sie noch angenehmer, als wenn sie sich geradehin geküßt hätten. Ihre Kameradschaft bildete somit nichts Anderes als die langsam nach abwärts gleitende Bahn zweier Verliebten, welche sie unbedingt eines Tages in das Kabinet des Café Riche und in das große, rosig und grau verzierte Bett Renée's führen mußte. Als sie einander umschlungen hielten, empfanden sie die Erschütterung ihres Fehltrittes nicht; man hätte sie für alte Liebende halten können, deren Küsse alte Erinnerungen erweckten. Sie hatten so viele Stunden in der Berührung ihres ganzen Wesens verbracht, daß sie unwillkürlich von dieser Vergangenheit sprachen, die voll unbewußter Zärtlichkeiten war.
»Du erinnerst Dich des Tages, da ich in Paris anlangte?« sagte Maxime. »Du hattest eine sonderbare Toilette angelegt und ich bezeichnete mit dem Finger einen Winkel auf Deiner Brust und rieth Dir, dort einen spitz zulaufenden Ausschnitt anbringen zu lassen ... Ich fühlte Deine Haut unter dem Hemde und mein Finger drückte ein wenig hinein ... Und dies war so gut ...«
Renée lachte, küßte ihn und murmelte:
»Du warst schon damals recht lasterhaft ... Wie herzlich lachten wir bei Worms über Dich; erinnerst Du Dich? Wir nannten Dich »unseren kleinen Mann« und ich glaubte immer, daß Dich die dicke Susanne gerne hätte gewähren lassen, wenn die Marquise sie nicht wüthenden Blickes bewacht hätte.«
»Ach ja, wir haben viel gelacht ...« murmelte der junge Mann. »Das Photographie-Album, nicht wahr? Und alles Andere: unsere Fahrten durch Paris, unsere Imbiße bei dem Kuchenbäcker auf dem Boulevard; erinnerst Du Dich, wie gerne Du die kleinen Erdbeeren-Kuchen aßest? ... Ich werde mich immer des Nachmittags erinnern, da Du mir das Abenteuer Adelinens erzähltest, die im Kloster Briefe an Susanne schrieb, die sie als Mann mit: Arthur d'Espanet unterzeichnete und worin sie ihr den Vorschlag machte, sie zu entführen ...«
Die Liebenden lachten auch über diese Geschichte, worauf Maxime mit seiner einschmeichelnden Stimme fortfuhr:
»Wenn Du mich mit Deinem Wagen vom Colleg abholtest, mochten wir uns Beide drollig ausnehmen... Ich verschwand ja ganz unter Deinen Röcken, da ich so klein war.«
»Ja, ja,« stammelte sie, von einem wonnigen Schauer erfaßt und zog den jungen Mann noch fester an sich; »Das war so gut, wie Du sagst... Wir liebten uns ohne es zu wissen, nicht wahr? Ich wußte es aber früher als Du. Als wir neulich Abends aus dem Bois heimkehrten, streifte ich Dein Bein und erschauerte dabei... Du aber hast es gar nicht wahrgenommen. Wie? Du dachtest gar nicht an mich?«
»Ah doch!« erwiderte er ein wenig verlegen. »Nur wußte ich nicht, Du begreifst doch ... Ich wagte nicht...«
Er log. Der Gedanke, Renée zu besitzen, war ihm niemals klar zum Bewußtsein gekommen. Er hatte in seiner Lasterhaftigkeit den Gedanken gestreift, ohne eigentlich nach Renée's Besitz zu verlangen. Er war viel zu lässig, als daß er sich einer derartigen Anstrengung unterzogen hätte. Er nahm Renée's Besitz hin, weil sie sich ihm selbst anbot und er in ihr Bett gelangt war, ohne es gewollt, ohne es vorausgesehen zu haben. Dort angelangt, blieb er dort, weil es angenehm warm war und er überall liegen blieb, wohin er fiel.
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