Die Trinity-Anomalie (German Edition)
legte dem Priester beruhigend eine Hand auf den Unterarm. »Vielleicht sind Sie so gut und sagen Sie seiner Eminenz, dass ich in ein paar Minuten bei ihm bin. Aber zuerst rede ich mit dem jungen Mann.«
»Ja, natürlich. Sofort.« Pater Peter eilte davon.
Conrad ging zur vordersten Bank. Er lächelte sanft, legte dem jungen Mann die Hand auf die Schulter und sprach mit der Stimme eines Hirten.
Das verirrte Schaf war zwar nicht verrückt, aber auf dem besten Weg, es zu werden, dachte Conrad. Losgelöst von seinem früheren Ich, trieb er jetzt dahin und suchte verzweifelt nach festem Boden, auf dem er eine neue Identität aufbauen konnte.
»Ich glaube, er ist zu gebrauchen«, sagte er zu Kardinal Allodi, nachdem Pater Peter das Büro verlassen hatte, um dem jungen Mann Gesellschaft zu leisten. »In der Highschool war er im Junioren-Ausbildungskorps der Armee. Er spricht gut auf Autorität an. Ich könnte ihn schon für unsere Zwecke zurechtbiegen.«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Allodi. »Das Risiko, entdeckt zu werden, ist zu groß. Es gibt zu viele Variablen, die Sie nicht kontrollieren können.«
»Nun, mir gefällt’s auch nicht so richtig«, sagte Conrad und dachte bei sich:
»Ja, aber …« kommt immer besser an als »Nein«.
»Aber ich werde alles daransetzen, das Risiko einzudämmen, und bestehende Probleme beseitigen. Und wenn nicht alles so läuft wie geplant, blase ich die Mission ab.« Abschließend sagte er: »Eminenz, der Rat misst dem Fall Trinity oberste Dringlichkeit zu, und uns bleiben nicht mehr viele Alternativen.« Dann schwieg er, um Kardinal Allodi Zeit zum Nachdenken zu geben.
Eine ganze Minute verstrich, bevor Allodi sagte: »In Ordnung, vorerst haben Sie grünes Licht. Aber zwei Bedingungen: Erstens darf Pater Nick niemals etwas davon erfahren. Wenn er nur die leiseste Ahnung vom Einfluss des Rats auf den Heiligen Stuhl hätte …« Allodi brauchte den Satz gar nicht zu beenden. Sie wussten beide, was auf dem Spiel stand.
»Ja, Eminenz.« Er wartete auf die zweite Bedingung.
Kardinal Allodi holte einen Ordner aus seiner ledernen Aktentasche und reichte ihn Conrad.
Es war eine Personalakte. Conrad las das Etikett: P. DANIEL BYRNE.
»In der Akte finden Sie Informationen zu seinen Kontaktpersonen im Seminar und über sein Leben in New Orleans, bevorer nach Rom gekommen ist«, sagte Allodi. »Bevor Sie mit dieser Operation fortfahren, müssen Sie ihn finden und ihm Pater Nicks Angebot unterbreiten.«
»Das lehnt er ja doch ab.«
»Das wissen Sie nicht. Lassen Sie ihm die Entscheidung. Falls er akzeptiert, können wir das Risiko, entdeckt zu werden, ganz vermeiden. Falls nicht, können Sie fortfahren. Haben Sie mich verstanden?«
»Ja, Eminenz.«
72
Lower Ninth Ward, New Orleans
Tim Trinity spähte hinaus in die Dunkelheit. »Weißt du, wo wir sind?«
»Nicht genau«, sagte Daniel. »Wenn wir irgendwo ein Straßenschild sehen, halte ich an.« In diesem Teil des Ninth Ward gab es immer noch keinen Strom, und Daniel konnte außerhalb der Lichtkegel seiner Scheinwerfer überhaupt nichts sehen.
Aber was er sah, machte ihn stinkwütend. Überall gesplittertes Holz und zerbrochene Fenster; verbogenes Metall und verstreute Dachplatten; zertrümmerte Möbel und verrottete Matratzen. Reihenweise kleine Wohnhäuser, nur noch Ruinen … Die Leben einfacher Leute, nur noch Ruinen … Ein Block nach dem anderen. Und kein Anzeichen von Wiederaufbau. Eine Schande war das.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Trinity: »Sieht aus wie nach einer Riesenparty in der Hölle.«
Angelicas Schwester wohnte in einem Viertel, das wiederaufgebaut wurde, wenn auch langsam. Etwa vier von zehn Häusern waren instand gesetzt, drei mitten in der Renovierung begriffen, die anderennoch immer Ruinen. In diesem Block gab’s auch Strom, und jede dritte Straßenlaterne funktionierte sogar.
Angelica begrüßte sie am Straßenrand. In ihrem Laden war sie sehr farbenfroh gekleidet gewesen, aber nun trug sie ein schlichtes weißes Kleid, hatte ein weißes Tuch um den Kopf gewickelt und war barfuß. Durch ein Tor neben dem Haus führte sie sie in den mit einem Sichtschutzzaun umgebenen Hinterhof.
»Willkommen in unserem Säulenhof«, sagte sie.
Der Hof hatte ein Wellblechdach, das auf Pfosten ruhte. Der Zaun war von innen grün gestrichen, hatte einen rotgelben Rand und war mit Zeichnungen in schwarzer Farbe dekoriert: »Veve«, die die verschiedenen Loa symbolisierten, daneben Schlangen und
Weitere Kostenlose Bücher