Die Trinity Verschwörung
frei von Panik zu bekommen. War er selber noch sicher? Hier draußen auf diesem Platz musste er jede Sekunde damit rechnen, dass eine Kugel ihn von den Beinen holte, er lud förmlich zu einem zweiten Schuss ein. Und wenn ihn einer als den Mann erkannte, der neben dem Opfer gesessen hatte? Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand die Polizei auf ihn aufmerksam machen würde.
In einer entlegenen, noch funktionierenden Kammer seines Denkens handelte er entschlossen. Der Überlebensinstinkt wurde aktiv. Er sah die Leute von dem Lokal weg in die Seitenstraßen laufen, ihre Freunde mit sich ziehend. In der Ferne ertönten Sirenen. Gaddis folgte den Flüchtenden, weil es für ihn das Beste war, vom Tatort zu verschwinden. Zusammen mit einer Gruppe von zehn, zwölf Leuten verließ er den Platz in südöstlicher Richtung, der Weg war leicht abschüssig. Er kam an einem Laden mit englischsprachiger Literatur vorbei; ein Etablissement auf der gegenüberliegenden Straßenseite sah nach einem Nachtclub oder Bordell aus. Weiter vorne sah Gaddis die Lichter des Verkehrs auf dem Schubertring und die niedrigeren Bäume des Stadtparks. Er war hier nur wenige hundert Meter vom Radisson entfernt, und für einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, dorthin zu gehen. Ein verrückter Gedanke, sich an einem Nachtportier vorbeireden zu müssen, der ihn später womöglich der Polizei übergab.
Er zog sein Telefon aus der Tasche. Weil er sonst niemanden hatte, an den er sich wenden konnte, wählte er Tanyas Nummer. Sie meldete sich fast augenblicklich, sie klang benommen und verwirrt.
» Hallo?«
Ihre Stimme hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn, obwohl sie ihn verraten hatte.
» Warum habt ihr das getan, Tanya?«
» Sam?«
» Bob Wilkinson ist erschossen worden.«
» Was? Erschossen?« Ihr Entsetzen klang echt. Sie wiederholte, was er ihr gerade erzählt hatte, als müsste sie die volle Bedeutung dessen, was er ihr mitteilte, erst noch verkraften. » Wo sind Sie?«
Eine Sirene heulte in nächster Nähe, gleich darauf stimmte ein zweiter Polizeiwagen ein, der zum Kleinen Café raste.
» Warum habt ihr das getan?«, wiederholte er seine Frage. » Direktive der Firmenleitung?«
» Wie kommen Sie darauf, dass ich etwas damit zu tun habe? Wo sind Sie? Erzählen Sie, was passiert ist.«
Beinahe glaubte er ihr die Unschuld. Er wollte sie ihr glauben. Aber es gab kein Vertrauen mehr zwischen ihnen. Er sagte: » Woher soll ich das wissen? Ich war auf der Toilette, hatte Wilkinson allein am Tisch zurückgelassen, und als ich wieder rauskam, war er tot. Erklären Sie mir, was da passiert ist. Wahrscheinlich sind Sie auch hier in diesem verfluchten Wien. Erklären Sie mir, woher die gewusst haben, wo er steckt.«
» Sam. Jetzt hören Sie mir zu.« Tanya hatte ihre Fassung zurückgewonnen. Auf einmal war sie unnatürlich ruhig. » Ich hatte so etwas befürchtet. Ich dachte, Sie seien noch in Spanien. Was ist das für eine Nummer? Haben Sie ein neues Handy?«
» Ja«, antwortete er.
» Beenden Sie auf der Stelle die Verbindung. Schalten Sie das Handy ab und nehmen Sie den Akku heraus. Dann gehen Sie mindestens einen Kilometer weiter, suchen sich ein öffentliches Telefon und rufen mich von dort aus an. Tun Sie das.«
» Wie bitte?«
Sie hatte die Verbindung bereits unterbrochen. Gaddis sprach ins Leere. Er verbarg sich im Dunkel eines Hauseingangs und starrte auf das Display. Offenbar befürchtete sie, die Russen könnten sein Handy orten. Aber wollte sie ihn wirklich schützen oder sich nur Zeit kaufen, um John Brennan zu informieren? Wie auch immer, ihm blieb keine andere Wahl, als zu tun, was Tanya gesagt hatte. Er grub den Daumennagel tief in die Powertaste des Handys, schob die Gehäuseabdeckung zurück, nahm den Akku heraus und ließ ihn in die Hosentasche fallen, bevor er zum Schubertring lief und ein Taxi heranwinkte.
Er sackte zurück in den Rücksitz, schwankend wie ein Betrunkener, während der Fahrer ihn im Spiegel betrachtete und auf das Fahrtziel wartete. Gaddis wurde klar, dass er außer der Goldenen Spinne und dem Riesenrad im Prater keine einzige Adresse in Wien kannte. Ganz sicher wäre es schwachsinnig, ins Hotel zurückzufahren, und der Prater hatte um diese Nachtzeit bestimmt nicht mehr geöffnet. Instinktiv und weil ihm kein anderes Wiener Wahrzeichen einfiel, sagte er: » Hotel Sacher.« Dem Fahrer entwich ein Laut, der verärgert und belustigt zugleich klang, und keine zwei Minuten später wusste
Weitere Kostenlose Bücher