Die Trinity Verschwörung
Gaddis ahnte, dass Neame noch mit etwas hinter dem Berg hielt.
» Tom?«
» Ja?«
» Sie sehen aus, als würden Sie mir etwas erzählen wollen. Etwas über Charlotte?«
Neame blickte hinüber zur Bar, dann auf seine zittrigen, fleckigen Hände. » In Moskau lebt eine Frau namens Ludmilla Tretiak. Sie ist die Witwe von ATTILAS drittem und letztem KGB -Führungsoffizier, Fjodor Tretiak. Ich habe Charlotte vorgeschlagen, sie ausfindig zu machen.«
» Und? Hat sie das getan?«
Neames Blick wanderte hinüber zur Bar. » Ich weiß es nicht. Ludmilla war eine Spur, die Eddie verfolgen wollte, bevor er untertauchen musste. Ich habe Charlotte allerdings gewarnt und sie gebeten, vorsichtig zu sein.«
» Warum?«
» Tretiak wurde 1992 in St. Petersburg ermordet.«
» Im selben Jahr, in dem Eddie im St. Mary’s vermeintlich vor seinen Schöpfer getreten war.«
» So ist es. Und wer glaubt da schon an einen Zufall? Falls Ludmilla Tretiak der Überzeugung ist, dass ihr Mann vom KGB ermordet wurde, könnte sie auch bereit sein, mit jemandem darüber zu reden. Das würde allerdings bedeuten, dass sie observiert wird. Auch heute noch.« Neames resigniertes Lächeln sollte Gaddis warnen. » Wenn Sie nach ihr suchen, dann mit der gebotenen Vorsicht. Mehr will ich nicht sagen. Sorgen Sie dafür, dass niemand ihr Gespräch mit einem neugierigen Historiker belauscht.«
20
Gaddis war sicher, Ludmilla Tretiaks Namen in Charlottes Unterlagen gelesen zu haben. Zurück in London, rief er Paul an, dann fuhr er nach Hampstead und suchte in ihrem Büro. Und es dauerte keine Viertelstunde, bis er in einem ihrer Moleskine-Kalender unter dem Buchstaben » T« den Namen Tretiak gefunden hatte, komplett mit Adresse und Moskauer Telefonnummer. Später am Abend rief ihn Paul an, dem eingefallen war, dass Charlotte sechs Tage nach ihrem Herzinfarkt auf einen Flug nach Moskau gebucht war. In ihren Kalender hatte sie für diesen Tag die Einträge FT / LT und SU 581 gemacht, eine Aeroflot-Flugnummer, wie sich herausstellte. Gaddis war sicher, dass die beiden Frauen sich verabredet hatten, auch wenn auf keinem von Charlottes Accounts ein Hinweis auf eine entsprechende E-Mail-Korrespondenz zu finden war.
Sein angestammtes Reisebüro am Pembridge Square brauchte achtundvierzig Stunden, um ein Eilvisum und einen Flug für ihn zu organisieren; die Veröffentlichung des Zaren hatte Gaddis’ Ruf an der russischen Botschaft offensichtlich nicht geschadet. Er landete am späten Montagabend auf dem Flughafen Scheremetjewo, ließ das übliche Chaos bei der Passabfertigung über sich ergehen und fand seinen Koffer in einer der Ecke des Gepäckbereichs, gute fünfzig Meter entfernt vom Aeroflot-Karussell. Gaddis hatte Victor, den Fahrer, den er in Moskau immer anheuerte, vor den Ausgang bestellt, und jetzt quälten sie sich im permanenten Stop-and-go auf einer sechsspurigen Schnellstraße durch Zigarettenqualm und Dieseldämpfe zum Sovietski Hotel.
Am nächsten Morgen, nach einem aus einem Omelette und zwei Tassen metallisch-schwarzen Kaffees bestehenden Frühstück, fuhr er mit der Metro drei Stationen von Dynamo nach Woikowskaja, um zwei Straßen vor Ludmilla Tretiaks Wohnung aus dem Untergrund aufzutauchen. Immer, wenn er durch die Straßen in der Stadtmitte Moskaus ging, hatte Gaddis das Gefühl, sich an jedes Haus zu erinnern. Aber die Woikowskaja lag hinter dem Gartenring in einer grauen, sonnenlosen Gegend, die er nur dem Namen nach kannte. Die Wohnung der Tretiak war in der neunten Etage einer der typischen, aus Fertigbauplatten hochgezogenen, zwanzig Stockwerke hohen postsowjetischen Mietskasernen; die Fassade war in drei verschiedenen Beigetönen gestrichen. Das Gebäude lag an einer belebten Straße mit Verkaufsständen, an denen illegale DVD s und billiges Make-up verhökert wurden. Autos parkten kreuz und quer. Um sicher zu sein, dass Tretiak in der Stadt war, hatte Gaddis aus einer Telefonzelle in Shepherd’s Bush ihre Nummer angerufen und behauptet, Vertreter eines Telekommunikations-Unternehmens zu sein und billige Tarife für Breitband-Internet im Angebot zu haben. Sie hatte ihn höflich darauf hingewiesen, dass sie keinen Computer benutze, und ihm einen schönen Tag gewünscht.
Am laufenden Band verließen oder betraten Bewohner das Haus, sodass Gaddis auf keinen Klingelknopf drücken musste, um hineinzugelangen. Er hatte beschlossen, um die Mittagszeit, wenn Tretiak mit größter Wahrscheinlichkeit zu Hause wäre, einen kurzen Brief
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