Die Trinity Verschwörung
benötigen? Dafür wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar.
Beim Herausziehen der Fotos war Gaddis so ungeduldig, dass er den Umschlag einriss. Endlich durfte er einen Blick auf Edward Crane werfen.
Das Bild aus dem Krieg war das übliche Schwarzweiß-Porträt eines Soldaten in Uniform. Es war auf ein ausgefranstes Stück ergrauter Pappe geklebt und in kaum noch lesbarer, blassblauer Tinte mit Cranes Namen und der Jahreszahl 1942 versehen. Crane war Ende zwanzig, mit grüblerisch-düsteren Zügen und dichtem schwarzem Haar, das er gescheitelt und mit Öl straff nach hinten gekämmt trug. Mit einem solchen Gesicht hatte Gaddis nicht gerechnet; er hatte sich Edward Crane zurückhaltender, schlanker, listiger, vielleicht sogar ein bisschen schwächlicher vorgestellt. Dieser Crane war ein Kraftprotz, kernig und kompakt. Es war schwierig, sich vorzustellen, dass der Mann auf dem Foto die Raffinesse besessen haben sollte, die Geheimdienste auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs mehr als fünfzig Jahre lang an der Nase herumzuführen. Und warum die Uniform? Zu der Zeit, als das Foto aufgenommen worden war, musste Crane bereits als Doppelagent beim MI 5 tätig gewesen sein und die Namen potentieller sowjetischer Überläufer an Theodore Maly weitergegeben haben. Gaddis erklärte die Uniform damit, dass Crane sie tragen musste, als er Cairncross in Bletchley assistierte.
Die zweite Fotografie war eine Polaroid-Nahaufnahme, aufgenommen in einem dunstigen, sonnendurchfluteten englischen Garten. Das Haar war immer noch ordentlich gekämmt, aber inzwischen schütter und weiß wie Kreide. Gaddis fühlte sich an Bilder des alten W. H. Auden erinnert, so faltig, von der Sonne ausgemergelt und schlaff unter dem Kinn war Cranes Gesicht mittlerweile geworden. Calvin Somers hatte seine Haut als » zu gesund« für einen Mann mit Bauchspeicheldrüsenkrebs beschrieben, aber das musste nicht heißen, dass Crane besonders jugendlich ausgesehen hatte. Ihm fiel auf, dass die Nase verfärbt war, von zu viel Sonne oder zu viel Rotwein, und an seinem breiten und lebhaften Lächeln ließ sich diesmal schon viel eher der Charme des Meisterspions erkennen. Gaddis war erleichtert, denn diese zweite Aufnahme passte wesentlich besser zu dem Bild, das er sich von Crane gemacht hatte, und sie vertrieb darüber hinaus alle möglicherweise noch verbliebenen Zweifel, ob Crane und Neame nicht doch ein und dieselbe Person waren. So war es zum Beispiel nicht schwer, sich den Mann auf dem Foto als onkelhaften Typen vorzustellen, der sich als patrizischer Banker in Berlin ausgab; gleichzeitig besaß Cranes Gesicht etwas Ungewöhnliches, die Augen verrieten einen ungebärdigen, ans Exzentrische grenzenden Charakterzug. Gaddis konnte nur vermuten, welche Geheimnisse sich hinter diesem Blick verbargen – fünf Jahrzehnte Täuschung und Gegentäuschung, die in den rätselhaften Vorkommnissen von Dresden gipfelten.
Er konnte nicht wissen, dass es nie einen Charles Crane gegeben hatte. Gaddis hatte mit einem gewissen Alistair Chapman telefoniert, einem Kollegen von Sir John Brennan aus der Zeit, als der SIS -Chef noch ein mittlerer Beamter im Wien des Kalten Krieges war. Chapman hatte dem SIS erlaubt, eine Athener Telefonnummer in seine Londoner Wohnung umleiten zu lassen und sich Brennan zu Gefallen als Cranes Neffe auszugeben. Der Chef war von seiner Performance begeistert gewesen.
» Vielen Dank, Alistair«, hatte er noch am selben Abend zu Chapman gesagt. » Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in der langen Geschichte des SIS schon mal einen besseren Kugelfang beschäftigt haben.«
Die angeblich von Charles Crane an Gaddis geschickten Fotografien zeigten in Wahrheit einen ehemaligen SIS -Mitarbeiter namens Anthony Kitto, 1983 verstorben. Brennan hatte sie einer beliebigen Akte entnommen und in den Umschlag gesteckt. Gaddis, der von alldem natürlich nicht den leisesten Schimmer hatte, machte sich eine geistige Notiz, Charles Crane einen Dankesbrief zu schicken, bevor er sich der übrigen Post zuwandte.
Unter anderem einem Brief von einem amerikanischen Kollegen, einer von Min unterschriebenen Postkarte von Gaudís Sagrada Família und ganz unten in dem Stapel einem Bankauszug von Barclays. Er hatte sich angewöhnt, alle Briefe der zahllosen Geldinstitute, denen er Geld schuldete, gleich in den Papierkorb zu werfen, aber diesmal machte er eine Ausnahme, warf einen Blick auf den Auszug und stellte zu seiner Überraschung fest, dass sein Kontostand
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