Die Trolle
Wehrmauern gewaltig, und der eigentlich eher gedrungene Turm am äußersten Ende der Hafenmauer sah weitaus beeindruckender aus als vom Land aus betrachtet. Der Wachturm war, wie die Mauer auch, aus breiten Steinquadern errichtet, die aus den dunklen Felsen im Norden der Sorkaten geschlagen wurden. Er war von rechteckigem Grundriss, allerdings ragte eine der Ecken in den Fluss hinein, sodass seine Wände nicht parallel zur Hafenmauer verliefen.
Sten hatte tags zuvor, als er die Stadt verlassen hatte, noch einen Blick auf den Turm geworfen und festgestellt, dass an seiner Basis und auch an der Hafenmauer lange Metalldornen befestigt waren, die jedes Boot aufspießen würden, das versuchte, dort anzulegen. Zudem befand sich weiter oben noch eine Reihe von nach unten gebogenen Haken, die ein Erklimmen der steilen Mauer erschweren sollte. Zum Glück hatten sie nicht vor, diesen Weg zu nehmen. Zusätzlich brannte auf dem Dach des Turmes auch noch ein Wachfeuer, vor dem sich die Umrisse der Soldaten abzeichneten, die von dort aus die Einfahrt in den Hafen bewachten. Das Feuer war auf einer leicht erhöhten Plattform entzündet worden, sodass es über die Zinnen der Brustwehr hinweg leuchtete und den Wachen einen guten Ausblick auf den Fluss bot.
Der Wasserlauf trieb Sten immer weiter auf die Stadt zu, und selbst die Trolle hatten angesichts der Strömung Probleme, sich in den Fluten aufrecht zu halten. Aber sie durften nicht zu früh den Fuß des Turmes erreichen, denn ohne die versprochene Ablenkung war die Möglichkeit, dass man sie entdeckte, viel zu hoch.
Näher und näher kam die Mauer, immer höher schob sich der Turm vor die Augen des jungen Kriegers, aber noch sah er die Wachen auf ihrem Posten auf und ab gehen. Schon bald würde er in den sanften Lichtschein des Feuers treiben, und sein Gesicht und die Arme würden sich deutlich von den Wassern abheben, ganz zu schweigen von den Trollen, deren massige Häupter und Schultern kaum zu übersehen waren. Verzweifelt wollte Sten gerade versuchen, gegen den Strom zu schwimmen, als von dem Wachturm ein Ruf ertönte. Einen bitteren Herzschlag lang glaubte der Wlachake sich entdeckt und duckte sich hinter sein Floß, das man mit einigem Glück für eine zufällige Ansammlung von Treibgut halten konnte. Aber als er vorsichtig emporspähte, bemerkte er, dass die Umrisse der Wachen vor ihrem Feuer verschwunden waren, und er flüsterte den Trollen zu: »Jetzt! Macht schnell!«
Mit aller Kraft paddelte Sten mit den Beinen und dankte im Geiste seinem Vater, der darauf bestanden hatte, dass seine Kinder schwimmen lernten. Zum Glück, denn ohne es zu merken, hatte Sten die Mündung der Reiba in den Magy erreicht, und die eisige Strömung raubte ihm kurz den Atem und trieb ihn in Richtung Flussmitte des Magy ab. Ruhige, kräftige Schwimmzüge brachten ihn schließlich wieder in die Nähe des Ufers und fort von der gefährlichen Strömung, die einen Mann mitreißen und für immer verschwinden lassen konnte. Hinter sich hörte er das Grunzen eines Trolls, der sich gegen die Wassermassen stemmte, aber er hatte keine Möglichkeit, sich umzuschauen, wie es den gewaltigen Kreaturen erging.
Mit zwei letzten, kräftigen Stößen seiner Beine erreichte Sten die Mauer des Turms und hangelte sich an ihr entlang. Die dunklen, feuchten Steine waren von glitschigen Algen bewachsen und boten wenig Halt, aber die Strömung trieb Sten von ganz allein um den Turm herum. Zweimal kratzte sein Bündel Zweige über die stählernen Dornen, doch er achtete nicht darauf, sondern beeilte sich voranzukommen und glitt schließlich in das ruhige Wasser des Hafens, das im Schatten des Wachturmes lag.
Die Trolle mussten einen größeren Bogen schlagen, denn die langen Metallspieße verhinderten, dass sie sich in den Sichtschutz des Turmes begaben. Doch Pard führte sie geschickt um den Turm herum und schließlich weiter den Fluss hinab, bis sie die Mitte der Hafeneinfahrt erreicht hatten, wo die Wachfeuer der beiden Türme nur noch wenig Licht spendeten.
Mit einem Blick zurück vergewisserte sich Sten, dass die Trolle ihm folgten; sodann schwamm er langsam durch das ruhige Wasser in Richtung der Warenhäuser auf der Nordseite der großen Kaimauer.
Hier in der Mitte des Hafens herrschte tiefe Dunkelheit. Von seiner Position aus konnte Sten nun auch den Grund für den Alarmruf erkennen, denn im Süden des Hafenbeckens hatte offenbar ein Schiff Feuer gefangen und wurde von hektischen Arbeitern von der
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