Die Trolle
dieser Vorstellung wollte der Rebell schon aufspringen und aus dem Tempel flüchten, doch die panikartige Furcht vor dem göttlichen Richtspruch verging, und Stens Atmung wurde wieder ruhiger.
Statt zu fliehen, hob er nun vorsichtig den Blick und musterte die Priester, auch wenn er noch immer blinzeln musste, um die Augen vor dem Licht zu schützen. Hinter der sie umgebenden Glorie und dem Lichtschein waren die Männer des Albus Sunasgewöhnliche Menschen, die mit erhobenen Händen ihren Gott priesen und seine Gnade auf die versammelte Menge herabriefen. Gläubige Männer, deren Hingabe der Wlachake respektieren konnte, auch wenn er ihren Gott nicht verehrte.
Aber auch Männer, die den Masriden willig zu Diensten waren und die das einfache Volk unterdrückten und ihm seinen Gott aufzwangen. Das Verbrennen von Ketzern und Häretikern, wie der Albus Sunasdie Geistseher der alten Götter nannte, war weit verbreitet. Viele Anhänger des alten Weges waren deshalb entweder in den Süden geflohen, wo die letzten Wlachaken herrschten und der Albus Sunasweniger Einfluss hatte, oder sie verbargen sich und versuchten den Häschern des mächtigen Ordens zu entgehen.
Leider war der Albus Sunasüberall dort stark, wo die Masriden herrschten, und so gerieten die alten Götter und ihre Wege langsam, aber sicher in Vergessenheit und wurden von dem Göttlichen Licht ersetzt.
Natürlich gab es auch an Ionnas Hof Priester des Albus Sunas, denn die Fürstin konnte es sich nicht erlauben, den einflussreichen Orden vor den Kopf zu stoßen, doch hielt sie zugleich ihre schützende Hand über jene, welche den alten Wegen folgten, was natürlich zu Spannungen führte.
Langsam ebbte der Lobgesang der Priester ab, und eine erwartungsvolle Stille senkte sich über die versammelte Menge. Obwohl sicherlich etliche Dutzend Personen anwesend waren, war kaum ein Laut zu hören; es schien, als habe jeder der Anwesenden den Atem angehalten.
Dann erhoben die Priester wieder ihre Stimmen und intonierten im Gleichklang den Morgensegen: »Sehet das Göttliche Licht, das uns in seiner Güte einen neuen Tag schenkt! Spüret die Wärme des Göttlichen Lichtes, die uns umgibt und die unsere Ängste der Nacht vertreibt! Erfahret die Gnade des Göttlichen Lichtes, das uns vor den Schrecken der Dunkelheit beschützt und den Schatten aus uns vertreibt! Erhebet euer Antlitz und schauet das Göttliche Licht!«
Mit diesen Worten hoben die Anwesenden ihre Köpfe und sahen zur Decke des Tempels, die in gleißendes Licht gehüllt war, bis ihre Augen tränten und sie ihr Gesicht abwenden mussten.
»Niemand vermag den Anblick des Göttlichen Lichtes zu ertragen, der nicht selbst von Göttlichkeit erfüllt ist! Uns Erdenkindern, die wir in Dunkelheit leben müssen, ist es nicht gegeben, sein Antlitz zu schauen! Aber dennoch, trotz unserer Schwächen und Fehler, sendet uns das Göttliche Licht einen jeden neuen Tag!«, predigten die Priester mit machtvollen Stimmen, die Sten einen Schauer über den Rücken jagten. Obwohl er ihnen und ihrem Gott nicht folgte, war die Zurschaustellung ihrer Macht und ihres Glaubens Ehrfurcht gebietend.
Nach diesen Worten segneten die Priester die Menge, die sich bald darauf zerstreute und den Tempel verließ, bis auf einige, die noch blieben, um ein stilles Gebet zu sprechen.
Auch Sten schritt an die Wand des Tempels, nahm eine der weißen Kerzen aus ihrer Halterung und kniete sich nieder, wobei er vorgab, auf die Flamme zu starren und zu beten, aber eigentlich den Tempel und vor allem die Priester des Albus Sunasbeobachtete. Zwei von ihnen begannen damit, die Kerzen und Lampen auszutauschen und aufzufüllen, die inzwischen niedergebrannt und verloschen waren, der Rest sprach kurz miteinander und schritt dann durch einen weißgoldenen Vorhang aus schwerem, dickem Stoff in den hinteren Teil des Tempels, der Mitgliedern des Ordens vorbehalten war.
Sten blieb auf den Knien und wartete geduldig, bis die beiden Priester ihr Werk an den Kerzen beendet hatten und sich ebenfalls in die hinteren Räume begaben.
Außer ihm waren noch zwei Gläubige in dem Saal, die sich Kerzen vor das Gesicht hielten, aber die Augen zum Schutz vor dem Licht geschlossen hatten, wie es die Regeln des Albus Sunasfür ein demütiges Gebet vorsahen.
Jetzt oder nie, dachte sich der Wlachake, steckte seine Kerze wieder zurück in die Halterung und stand auf. So leise wie möglich huschte er zu dem Vorhang und sah sich um. Keiner der beiden Gläubigen hatte die
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