Die Trolle
Augen geöffnet, anscheinend waren sie so sehr in ihre Andacht vertieft, dass sie den jungen Mann nicht gehört hatten.
Vorsichtig lüftete Sten den schweren Vorhang und spähte in den kleinen Raum dahinter, der von einer von der Decke hängenden Öllampe beleuchtet wurde. Der zur Schau gestellte Prunk des Tempels endete an diesem Vorhang, denn der Raum dahinter war zwar weiß getüncht, aber die Wände wiesen die üblichen Flecken und Verschmutzungen auf, und zudem standen in diesem Zimmer einige Möbel, die einfach zusammengezimmert waren. Der Widerspruch zu dem Hauptraum des Tempels mit den strahlend weißen Wänden und den goldenen Kerzenleuchtern war verblüffend, aber Sten hatte keine Zeit, sich darum Gedanken zu machen, sondern er glitt in den Raum und lauschte angestrengt. Es gab noch zwei weitere Ausgänge, die ebenfalls durch Vorhänge verdeckt waren, und hinter dem linken hörte der Krieger ein leises Gemurmel. Sachte schlich er näher, bis er direkt neben der Tür angelangt war und die Worte verstehen konnte.
»… immer noch, dass es ein Fehler ist!«, sagte soeben ein junger Mann hitzig.
»Willst du das Wissen und die Entscheidung deiner Oberen in Frage stellen, mein Junge?«, erwiderte ein anderer scharf.
»Nein, natürlich nicht. Euer Geist ist von Göttlichkeit durchdrungen, die mir fern ist. Aber Ihr habt doch auch gehört, was die alte Frau gesagt hat!«, antwortete der erste Sprecher beinahe flehentlich.
»Die wirren Flüche und Drohungen einer erwiesenen Hexe vor ihrem gerechten Ende in den Flammen. Wohl kaum ein Grund, sich Sorgen zu machen«, beruhigte ihn der zweite Sprecher.
»Vielleicht«, erwiderte dieser unsicher. »Aber sie wirkte so überzeugt! Sie sprach davon, dass unsere Brüder dieses Wesen aufwecken würden …«
»Es gibt kein solches Wesen, mein Junge«, unterbrach ihn der andere. »Die Fallstricke der Dunkelheit sind überall, man muss ihnen stets ausweichen. Dir fehlen die nötige Erfahrung und das leuchtende Licht, aber wir weisen dir den Weg. Unsere Brüder im Kloster wissen genau, was sie tun. Und der Lángor, der Erleuchtete, wird dort nichts geschehen lassen, was der Dunkelheit dient. Vertrauen, mein Junge, Vertrauen ist es, was dir fehlt. Oder …«
»Was?«, fragte der junge Mann alarmiert.
»Oder wandelst du noch auf dunklen Pfaden?«, bohrte der andere gehässig.
»Nein, niemals!«, erklang der erschrockene Protest.
»Du musst die Wege deines Volkes ablegen, mein Junge. Sie sind düster und voll gefährlichem Aberglauben, und du entfernst dich vom Lichte. Aus dem Munde einer dieser Geisterfrauen kann niemals Wahrheit und Erleuchtung sprechen, da ihr Geist in Dunkelheit, in Kälte und Lügen wurzelt!«
»Verzeiht mir«, bat der junge Mann demütig, und der andere erwiderte sanft: »Natürlich. Die Pfade des Lichts sind nicht einfach zu beschreiten, und niemand macht dir einen Vorwurf, wenn du stolperst und stockst. Wir weisen dir den Weg zur Erleuchtung von Geist und Körper. Ich denke, dass wir die Dunkelheit aus deinem Geiste austreiben sollten, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete der Mann resigniert, und Sten hörte ihre Schritte auf sich zukommen. Geistesgegenwärtig lief er um den Tisch und schlüpfte durch den Vorhang wieder in die Haupthalle, wo er versuchte, möglichst unauffällig den Tempel zu verlassen. Die beiden Betenden umklammerten noch immer ihre tropfenden Kerzen und beachteten ihn nicht, als er den Tempel verließ und sich wieder in Richtung des Apasaufmachte.
Sehr viel hatte er nicht erfahren, zu vage waren die Andeutungen in dem Gespräch der beiden Vorbs gewesen. Offensichtlich machte der jüngere, den Sten für einen Wlachaken hielt, sich Sorgen wegen der Handlungen seiner Brüder in einem Kloster. Lángor der Erleuchtete, überlegte Sten, das sagt mir wenig. Lángor ist ein Titel im Albus Suna s , so viel weiß ich, ein Klostervorsteher, aber von welchem Kloster?
Anscheinend war der wlachkische Priester Zeuge der Verbrennung einer Geistseherin gewesen, welche die Priester vor irgendeinem Wesen gewarnt hatte. Diese Narren täten gut daran, die Warnungen zu beherzigen, dachte Sten erzürnt, anstatt die Weisen Männer und Frauen meines Volkes zu verbrennen. Wütend knirschte er mit den Zähnen, als er an die Ehrfurcht dachte, die er im Tempel empfunden hatte. Zorn hätte ich spüren sollen, Zorn und Verachtung und nicht Furcht und Demut!
Aber jetzt galt es erst einmal herauszufinden, ob eine Verbindung zwischen den Geschichten der Trolle
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