Die Trolle
gegen die Wand schlugen, und mit weiten Schritten auf sie zukam. Ionna war schon eine erwachsene Frau gewesen, als Viçinia noch ein kleines Mädchen gewesen war. Aber auch später, als Viçinia herangewachsen war, hatte ihre ältere Schwester sie immer um ein gutes Stück überragt. Das lange braune Haar trug sie wie so häufig zu einem hochgesteckten Zopf gebunden, und seitdem Viçinia die Fürstin das letzte Mal gesehen hatte, hatten sich noch mehr graue Strähnen in die leichten Locken ihrer Schwester geschlichen. Ionnas Züge erhellten sich sichtlich, als ihr Blick auf Viçinia fiel, und die grauen Augen schienen aufzuklaren wie ein regnerischer Himmel, wenn die Sonne durch die Wolken bricht.
»Viçinia«, rief die Herrin der Freien Wlachaken mit aufrichtiger Freude in der Stimme und drückte ihre Schwester an sich.
»Ionna«, flüsterte die Jüngere und genoss für einen Augenblick das Gefühl von Geborgenheit, das Ionna ihr stets gab. Doch dann trat sie einen Schritt zurück und musterte ihre Schwester. Das Leben und die schwere Verantwortung hatten weitere Linien in Ionnas Antlitz gegraben, aber die Ausstrahlung der Fürstin ließ sie jünger als ihre siebenunddreißig Sommer wirken. Noch immer schien sie das harte Leben ihrer Soldaten zu teilen, denn ihr Körper war durchtrainiert und muskulös, und sie bewegte sich mit der Gewandtheit der geübten Kriegerin. Sie trug ein einfaches hellgraues Wams und etwas dunklere Reiterhosen, und an der Hüfte hing das alte, kampferprobte Schwert ihrer Familie, das ihre Krieger Leuenfang nannten.
»Es tut gut, dich zu sehen«, meinte Viçinia von Herzen, und Ionna lächelte.
»Ja, das tut es. Obwohl du schlimm aussiehst, Schwester.«
»Es liegen auch schwere Tage hinter uns, Ionna. Und noch schwerere vor uns. Ich bringe Nachricht aus Teremi«, erklärte Viçinia.
»Und keine guten«, vermutete die Fürstin. »Aber erst einmal müsst ihr euch alle ausruhen.«
»Ja«, stimmte ihr Viçinia zu und drehte sich zu ihren Reisegefährten um. Einige Bedienstete waren gerade dabei, den bewusstlosen Suhai auf der behelfsmäßigen Trage hochzuwuchten, und Viçinia rief ihnen zu: »Kümmert euch gut um ihn!«
»Keine Sorge, Livian wird alles Menschenmögliche für ihn tun«, beruhigte Ionna sie.
»Livian? Cartareus Tochter?«
»Ja. Sie hat sein Amt nach seinem Tod übernommen.«
»Gut«, erwiderte Viçinia beruhigt.
»Flores cal Dabrân«, wandte Ionna sich an die dunkelhaarige Frau, »es ist eine Freude, Euch wieder als Gast unter meinem Dach zu haben.«
»Vielen Dank, Herrin«, erwiderte Flores und neigte das Haupt. Dann begleiteten sie Ionna in das Innere des Palastes, wo Viçinia erst einmal hungrig wie ein Wolf über ein hastig zubereitetes Essen herfiel und anschließend ein kurzes Bad nahm. Ihre Gemächer waren noch genau so, wie Viçinia sie verlassen hatte, und dieser Anblick trieb ihr Tränen der Freude in die Augen.
Wenig später fand sie sich im Besprechungszimmer wieder, wo Ionna sie mit ihren engsten Vertrauten erwartete. Nach all der Kälte tat es gut, wieder in geheizten Räumen zu sein, auch wenn die Wärme und Erschöpfung Viçinia schwindeln ließen. Mit einem Becher Gewürzwein setzte sie sich an den ovalen Tisch und berichtete in knappen Worten von ihrer Geiselhaft in Teremi und der Flucht. Als sie zu den Trollen und Stens Verbindung zu ihnen kam, wurde sie mehrfach von ungläubigen Fragen der Berater ihrer Schwester unterbrochen. Die Fürstin hingegen lauschte schweigend und hielt nachdenklich die Finger an die Lippen, bis Viçinia geendet hatte.
»Das bedeutet Krieg«, stellte Ionna mit ruhiger Stimme fest, woraufhin Viçinia nickte. Wie immer lauschte Ionna zunächst den Meinungen und Überlegungen ihrer Berater, während diese diskutierten. Viçinia kannte diese Strategie ihrer Schwester, die lieber schwieg und damit ihren anschließenden Worten ein größeres Gewicht verlieh.
»Der dreimal verfluchte Hund«, sagte Neagaszornig. »Ein verdammt mutiger Plan. So kurz vor dem Wintereinbruch!«
»Zorpad rechnet mit einem schnellen Sieg. Aber er muss wissen, dass wir seinen Angriff hier aussitzen können, bis der Winter ihm den Nachschub ausgehen lässt«, überlegte Viçinia laut.
»Vielleicht überschätzt er seine Kraft?«, spekulierte Istran Ohanescu, ein junger Mann mit einer glücklichen Hand für Organisation und Finanzen, was die gebeutelten Wlachaken gut gebrauchen konnten. Nachdenklich strich er sich über den dünnen, schwarzen Bart,
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