Die Trolle
eingezogen. Selbst die Pferde schienen müde und ohne Hoffnung zu sein und ließen die Köpfe hängen.
Wie es S ten wohl ergeht?, fragte sich Viçinia nicht zum ersten Mal. Ob er schon das Kloster erreicht hat?
Aus Angst vor Verfolgern hatten sie ein schnelles Tempo vorgelegt und auf dem Weg die meisten Weiler und Siedlungen gemieden, bis sie gezwungen gewesen waren, einen Bauernhof aufzusuchen, da ihnen die Vorräte ausgegangen waren und Suhai immer schwächer geworden war. Schon bald danach hatte der junge Adlige immer wieder das Bewusstsein verloren und war schließlich sogar vom Pferd gestürzt. Sein Zustand bereitete Viçinia große Sorge, denn der verletzte Arm war rot und heiß, und das Fieber schien in Wellen über ihn zu kommen. Nachts phantasierte er in seinen unruhigen Träumen von Blut und Tod. Wenn er nicht bald von einem Heiler behandelt wurde, dann würde er an der Entzündung sterben. Und selbst wenn er es bis Désa schafft, stirbt er vielleicht noch, dachte Viçinia bedrückt.
»Ich hatte ganz vergessen, wie sehr ich das Wetter im Mardew liebe«, verkündete Flores unvermittelt, und trotz ihrer düsteren Stimmung musste Viçinia schmunzeln. Mit den Fersen trieb sie ihr Reittier an und lenkte es neben Stens Schwester.
»Eigentlich ist es hier doch sehr viel milder als in Teremi.«
»Und nasser«, gab Flores zurück, und Viçinia lachte auf.
»Der Regen tut doch mal ganz gut. Besser als Schnee!«
»Schnee so früh im Sonnenjahr, das wäre ja das Allerletzte«, fauchte Flores. »Obwohl es verflucht kalt geworden ist.«
»Ja. Das Wetter war in den letzten Wochen sehr ungewöhnlich, erst die furchtbaren Gewitter, dann die Hitze und jetzt dieser andauernde Regen und die Kälte«, stimmte ihr Viçinia zu.
»Zumindest gibt es in Désa warme Bäder und große Kamine«, entgegnete die dunkelhaarige Frau. »Weißt du noch, wie wir durch den Kamin gekrochen sind?«, fragte sie dann mit einem Lächeln.
»Und Nati hinter uns her?«, fragte Viçinia zurück, und Flores brach in Gelächter aus.
»Er ist im Kamin stecken geblieben! Meine Güte, hat er geflucht! Ich habe zahllose Schimpfwörter an dem Abend gelernt! Ich kenne Burlai, die erröten, wenn ich auch nur ein paar davon wiederhole!«
»Allerdings war die Woche Kamineausfegen nicht so lustig«, stellte Viçinia fest.
»Deine Schwester hatte schon immer ein Händchen dafür, passende Strafen zu finden. Aber es war eine gute Erfahrung«, befand Flores und zwinkerte ihr zu.
»Er wird uns allen fehlen«, sagte Viçinia abrupt, als sie an Natiole und dessen Tod denken musste.
»Ja«, stimmte ihr Flores mit rauer Stimme zu, »verflucht, das wird er.«
»Was planst du als Nächstes?«, fragte Viçinia unvermittelt. »Wirst du in Désa bleiben? Wirst du …«
»Kämpfen?«, beendete Flores den Satz und sah in die Ferne, wo die mächtigen Sorkaten sich im Grau der Wolken verloren. »Nein. Aber ich werde wohl auf meinen nichtsnutzigen Bruder warten. Sobald wir von Nati Abschied genommen haben, werde ich meine Sachen packen und verschwinden.«
»Wohin?«
»Ich weiß nicht«, gab Flores zu. »Vielleicht nach Bracaz? Der Winter soll ja recht mild sein, und die Masriden dort haben zumindest kein gesteigertes Verlangen danach, mich tot zu sehen.«
»Noch nicht«, scherzte Viçinia, und Flores verzog das Gesicht, aber dann fuhr die junge Adelige ernst fort: »Es tut mir Leid, dass du gehst. Wir haben uns so lange nicht gesehen. Und Sten wird dich vermissen.«
»Er hat mich auch nicht vermisst, als er losgezogen ist, um die Welt zu retten«, entgegnete Flores bitter.
Viçinia schüttelte den Kopf: »Doch, das hat er.«
»Vielleicht«, antwortete Flores zögerlich, schwieg für einige Augenblicke und sagte dann: »Wir sollten uns beeilen. Suhai wird immer schwächer.«
»Ja. Wenn wir ihn nicht bald aus der Feuchtigkeit und Kälte herausbringen …«
Leise verklangen Viçinias letzte Worte, doch beide wussten, was sie meinte. Die Verletzung hatte sich in den letzten Tagen verfärbt. Die Knochen waren zwar von Vangeliu gerichtet worden, und auch die Blutergüsse waren langsam geschwunden, aber die Entzündung hatte sich deutlich verschlimmert. Immerhin hatte Leica versucht, die Wunde zu öffnen, sodass die kranken Flüssigkeiten abfließen konnten, aber sie war kein Feldscher oder Heiler und hatte nur wenig ausrichten können. Mit dem Gedanken an den Verwundeten beschleunigte Viçinia den Tritt ihres Pferdes und trieb die Gruppe zu mehr Eile an. In das
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