Die Trolle
…«
»Was? Woher wollt Ihr wissen, dass Sten tot ist?«, warf Viçinia wütend ein.
»Tot, gefangen, vermisst, welchen Unterschied macht das schon? Er sollte längst wieder hier sein, wenn er seinen Häschern entkommen wäre. Wir müssen ihn als verloren betrachten. Ein weiterer Schlag für die einfachen Krieger, denn sie halten große Stücke auf ihn.«
»Zu Recht!«, warf Eregiu ein, und Viçinia nickte heftig, sich sehr wohl der Blicke ihrer Schwester bewusst. Du kannst mir befehlen, die Frau eines anderen zu werden, aber nicht, ihn zu lieben, dachte die Wlachakin hitzig und erwiderte Ionnas Blick voller Zorn. Einen Herzschlag lang hielt ihre Schwester dem Blick stand, dann sah sie zu Istran, der fortfuhr: »Das bestreite ich keineswegs, Voivode. Doch nun ist er verschwunden, und das vergrößert unsere Sorgen. Viele von uns wünschen sich einfach nur Frieden.«
»Istran spricht die Wahrheit«, meldete Ionna sich plötzlich zu Wort, und alle Köpfe fuhren zu der Fürstin herum. »Ich sehe es selbst jeden Tag, unsere Moral ist ein dünnes Band geworden. Noch hält es alles zusammen, aber es droht jeden Augenblick zu reißen.«
»Aber Herrin«, gab Eregiu zu bedenken. »Vielleicht liegt es daran, dass wir wie Ratten in der Falle sitzen und nur auf den Henker warten.«
»Mag sein, Voivode, doch ich glaube vielmehr, dass die Mauern unserer Burgen das Einzige sind, was unseren Kriegern noch Vertrauen schenkt.«
»Ihr unterschätzt Eure eigene Wirkung, Herrin«, erwiderte der alte Mann. »Eure Soldaten würden Euch durch die Dunkelhöllen selbst folgen!«
Mit einem Lächeln und einem Nicken nahm Ionna dieses Kompliment zur Kenntnis, doch Viçinia kannte ihre Schwester nur allzu gut, und sie konnte in ihren Augen lesen, was sie dachte. Vielleicht müssen sie dies sogar, erkannte die Wlachakin. Zorpad wird keine Gräuel scheuen, um diesen Krieg ein für alle Mal zu gewinnen. Du fürchtest um das Überleben der Wlachaken!
»Dennoch halte ich den bisherigen Weg für den richtigen, Voivode, auch wenn Eure freundlichen Worte mir schmeicheln. Ich …«, hub Ionna an, als ein Schrei vom Hof her sie unterbrach. Unvermittelt wurde in der Feste ein infernalisches Getöse laut, Leute schrien, ein unmenschliches Brüllen ertönte, und alle sahen verwirrt zu den schmalen, hohen Fenstern, die mit Läden verschlossen waren.
»Was, bei allen Geistern, geschieht hier?«, fragte Eregiu und trat zu einem der Fenster. Die anderen taten es ihm gleich, öffneten die Fensterläden und blickten in den Burghof, der von Fackeln erhellt wurde. Mitten auf dem Kopfsteinpflaster stand ein Pferd samt Reiter, den Viçinia herzklopfend als Sten erkannte.
Er lebt, jubelte sie innerlich, doch dann fiel ihr Blick auf Stens Begleiter. Dort stand, mit hoch erhobenem Haupt und gefletschten Reißzähnen, einer der gewaltigen Trolle.
»Was geht hier vor?«, donnerte Ionnas Stimme über den Hof, und sofort verstummten alle Rufe, und die Blicke richteten sich auf Sten, der grinsend den Arm zum Gruß erhob.
»Ich bringe gute Kunde, Herrin Ionna! Das Volk der Wlachaken steht nicht allein gegen seine Feinde!«
»Was redest du da, Sten cal Dabrân?«, rief die Fürstin in den Hof hinab.
Sten deutete auf seinen Begleiter: »Wenn wir es wünschen, werden die Trolle an unserer Seite kämpfen!«
Für einen Augenblick schwieg Ionna, und Viçinia war sich sicher, dass eine Vielzahl von Gedanken auf ihre Schwester einstürmte. Dann antwortete die Fürstin: »Wir müssen uns bereden, Sten.«
Zur Antwort zog Sten die Klinge, wirbelte sie in einem blitzenden Kreis über dem Kopf und rief: »Tirea! Für Tirea! Kämpft für Tirea und Ionna!«
Während das Pferd des jungen Wlachaken sich aufrichtete und auf die Hinterhufe stieg, antworteten hunderte von Kehlen dem Ruf, und die Krieger der Wlachaken brüllten aus vollem Hals Ionnas Namen. Noch einige Herzschläge blieb die Fürstin am Fenster stehen, dann wandte sie sich ab und nickte Viçinia zu, ihr zu folgen.
Gerade als diese dem Befehl nachkommen wollte, rief Istran hinunter: »Was für eine Narretei ist das, Sten? Wie soll dieses Ungeheuer uns helfen?«
Ein tiefes Knurren aus der Kehle des Trolls ließ den jungen Mann verstummen, aber Sten lachte nur und sprang vom Rücken seines Rosses. Dann trat er an den Troll heran und wechselte einige kurze Worte mit diesem. Plötzlich trat das Monstrum vor und packte das Pferd. Schon glaubte Viçinia, der Troll wolle die Fänge in den Hals des Tieres schlagen, doch
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