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Die Trolle

Die Trolle

Titel: Die Trolle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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können, hatten ihre Verhandlungen oft das erwünschte Ergebnis erbracht.
    Als sie beinahe zwanzig Sommer gezählt hatte, war Ionna eines Tages zu ihr gekommen und hatte sie gefragt, ob sie sich nicht vorstellen könne, einen der jungen Adeligen zu heiraten, die sich so offenkundig um sie bemühten. Aber Viçinia hatte nur gelacht. »Ich habe ebenso wenig Verlangen danach, mir einen Mann zu nehmen, wie du.«
    Und dann war die Herbstschlacht gekommen, der Krieg, den sie beinahe gewonnen und doch verloren hatten. Sie erinnerte sich noch allzu gut an den Augenblick, als sie Natiole erblickt hatte, der den bewusstlosen Sten in die Halle von Désa getragen hatte. Damals wäre beinahe etwas in ihr zerbrochen. Cartareu, der Heiler, hatte nur bedauernd den Kopf geschüttelt: »Ich glaube nicht, dass dieser hier überleben wird.« Aber Viçinia hatte ihn nicht aufgeben können. Mit derselben Sturheit, mit der ihre Schwester ihre Kämpfe ausfocht, hatte sie sich um Sten gekümmert, seine Verbände gewechselt, ihm alle paar Stunden die Tränke des Heilers eingeflößt und seine brennend heiße Haut gekühlt. Und ihre Mühen waren belohnt worden. Schließlich hatte selbst der Heiler zugeben müssen, dass er sich geirrt hatte.
    Während Sten sich langsam erholt hatte, hatte Viçinia entdeckt, dass er nicht allein der getriebene Kämpfer war, nicht nur der landlose Rebell, auf dem die Hoffnungen seiner Leute ruhten …
    Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken, und sie begab sich in den Flur, wo ein gerüsteter Soldat auf sie wartete. Sie würdigte ihn keines Blickes, sondern ging mit hoch erhobenem Kopf durch den langen Korridor, der sie zur Verbindungstür zum Haupthaus führte.
    In den Teilen der Feste Remis, die von den Masriden selbst bewohnt wurden, hatten Zorpads Vorfahren die uralten Wandgemälde der Wlachaken mit Wandteppichen verhüllt, die ihre eigenen Taten und ihre eigene Geschichte erzählten. Doch hier, im selten benutzten Ostflügel, der für gewöhnlich den Bediensteten aus dem niederen Volk vorbehalten war, hatte sich niemand diese Mühe gemacht. Durch die jahrzehntelange Missachtung waren manche der Bildnisse rissig geworden, Farben waren ausgebleicht, und hier und da hatten die Masriden Stücke aus den Mosaiken und Fresken gebrochen, doch noch immer konnte man die Kunstfertigkeit erkennen, mit der diese Flure einst gestaltet worden waren.
    Unter den wachsamen Augen der Helden und Könige ihres Volkes schritt Viçinia neben ihrer Wache her. Zu ihrer Rechten erschlug Radu der Heilige den Dunkelgeist und befreite den Weißen Bären aus der Gewalt des Dämons. Der Legende nach war Radu mit dem Haupt der Kreatur und dem Segen des Weißen Bären vor die versammelten Führer der Clans getreten, deren Fehden und Kriege das Land zerrissen hatten, und hatte von ihnen die Einheit der Wlachaken gefordert, während er das blutige Haupt des Dunkelgeistes in ihre Mitte warf. Niemand hatte es gewagt, sich dem Helden zu widersetzen, und so hatte er als erster Kralj, als erster König, über das geeinte Wlachkis geherrscht.
    Irgendjemand hatte dem Bildnis von Radu auf dem Thron aus Eichenholz den Kopf abgeschlagen und es durch eine krude Zeichnung eines Schweins ersetzt. Die Schändung des Bildnisses tat Viçinia im Herzen weh, wie immer, wenn sie daran vorbeiging. Doch die Taten des legendären ersten Königs würden niemals vergessen werden, egal, was die Masriden dem Volk antaten, das sie unterworfen hatten.
    Zur Linken zeigte die Wand die lange Abfolge von Königen, die über Wlachkis geherrscht hatten; ihre Abbilder waren allesamt auf die eine oder andere Art ihrer Würde beraubt worden. Sie töten uns, unsere Leiber; aber schlimmer noch, sie töten unsere Seelen und rauben uns unsere Geschichte, dachte die junge Frau erzürnt. In den Gesängen und Geschichten würde Radu stets fortleben, doch all die Könige, deren Namen nicht in aller Munde waren und deren Taten nicht mehr geehrt wurden, würden dem Vergessen anheim fallen.
    Genau das wollten die Masriden erreichen, das war ihr Ziel. Der Albus Sunasunterdrückte den alten Glauben und verfolgte die Geistseher und heiligen Männer und Frauen ohne Gnade, jagte und verbrannte sie. Währenddessen untersagten die Masriden dem Volk die eigenen Lieder, Geschichten und Legenden. Jene, die ihr Erbe hochhielten und ehrten, erwartete der Tod. Schon mancher Wlachake war deswegen öffentlich hingerichtet worden.
    Die Priester des Albus Sunaserzählten dem Volk von ihrem

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