Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
bevorzugte, da deren Täuschungspotenzial ihm angeblich immer die besten One-Night-Stands einbrachten.
May war bekannt für ihre große Kollegialität und ihren kreativen und fairen Moderationsstil, aber auch dafür, dass sie sich im Waschraum auf magische Weise innerhalb weniger Sekunden von der perfekt gestylten Lady im dezenten Businesskostümchen in eine glutäugige Femme fatale mit glossbetupften Lippen und wild zerzauster Lockenmähne verwandelte, sobald ein halbwegs attraktiver Mann auch nur in Sichtweite der Studiotür kam. Sie fand, dass sie schon viel zu lange Single war, ganze zwei Jahre, um genau zu sein, und sie nutzte jede Möglichkeit, um das zu ändern. Leider war bislang jeder ihrer Versuche kläglich an ihrem offenbar fehlgeleiteten Männergeschmack gescheitert, der sie immer wieder mit absoluter Präzision auf skrupellose Abenteurertypen fliegen ließ. Meist kam sie spätestens nach der dritten Verabredung mit vom Weinen verquollenen Augen ins Studio und fluchte die ersten zehn Minuten so gekonnt, dass sogar der äußerst kreative Flucher Hyde ehrfürchtig staunend dastand und die beeindruckendsten verbalen Entgleisungen zur weiteren Verwendung notierte.
Studiosekretärin Melody war berüchtigt für ihren grauenhaften Kaffee, der selbst den geizigen Hyde durch eine mehrtägige Magenreizung davon überzeugt hatte, dass jedem eine eigene Kaffeemaschine zur Verfügung stehen musste.
Melody war gerade mal zwanzig und zutiefst frustriert darüber, dass sie immer noch Jungfrau war, obwohl sie sich in ihrer Freizeit ganz bewusst überwiegend an Orten wie zum Beispiel der Wild-Colibri-Bar aufhielt, wo massenweise Männer auf der Suche nach einer schnellen Nummer herumhingen. Dass sich keiner an sie heranmachte, lag daran, dass alles an ihr wirkte, als stehe sie noch unter dem Jugendschutzgesetz und als sei sie gerade dabei, die letzten Sachen zu packen, um am nächsten Tag für immer als Novizin hinter Klostermauern zu verschwinden. Alle Versuche, ihr einen neuen Look zu verpassen, hatten bisher nichts gefruchtet. Melody trug weiterhin niedliche rosa Schleifchen im Haar, weiße Söckchen und Rüschenkleider mit Puffärmeln. Die Ärmel ließen allerdings noch hoffen, hatte Hyde während einer gemeinsamen Kaffeepause mit besonders fiesem Grinsen gemeint, aber Melody sah nicht nur naiv aus, sie war es auch, und hatte deshalb nur geschmeichelt gelächelt.
Und dann gab es da noch jemanden, den Melanie noch nicht kennengelernt hatte: Gladys Butcher, Putzfrau und lebender Buddha des Studios. Sie nannte ausnahmslos jeden, auch den Boss, ganz einfach Schatz oder Schätzchen und war Anlaufstelle für alle, die irgendwelche Problemchen oder Probleme hatten. Gladys besaß einen pulvertrockenen Humor, der in jeder noch so peinlichen oder schwierigen Situation Wunder wirkte, und für aussichtslos scheinende Situationen hatte sie meist verblüffend einfache Antworten parat, weil ihr jegliches verkomplizierende Um-die-Ecke-Denken so fremd war wie ein Spaziergang auf dem Mond.
Als der Wagen schließlich vor einem imposanten palastartigen Komplex anhielt, kannte Melanie so ziemlich alle wesentlichen Stärken und Schwächen der wichtigsten Personen, mit denen sie im Studio zusammenarbeiten würde.
Jay trug noch die Koffer an die Rezeption, wünschte ihr einen angenehmen Aufenthalt im Mermaid und verließ mit einem undefinierbaren Blick auf die entspannt in der Eingangshalle umherwandelnden Bademantelträgerinnen fluchtartig mit wehenden Rastalocken das Reich Aphrodites.
Kapitel 4
Meerjungfrauen altern nicht
oder: Das kriegen wir schon hin!
May hatte nicht übertrieben. Das Mermaid war ganz bestimmt das exklusivste Beauty-Spa, das New York zu bieten hatte. Als Melanie den Schönheitstempel aus Marmor, Spiegeln und meterhohen Palmen, wunderschönen Statuen und kristallklar sprudelnden Springbrunnen auf sich wirken ließ, wurde ihr klar, dass sie diesen Aufenthalt niemals aus eigener Tasche hätte bezahlen können. Es würde sie nicht überraschen, jeden Moment Julia Roberts, Barbra Streisand oder eine der anderen Leinwandgrößen in einem dieser hier offenbar obligatorischen pinkfarbenen Bademäntel auf dem Weg zu einer der vermutlich sündhaft teuren Behandlungen um die Ecke biegen zu sehen. Insofern fand sie diese überraschende Wende eigentlich gar nicht mehr so unangenehm wie zu Anfang, der Grund dafür wollte ihr allerdings immer noch nicht einleuchten. Sie brauchte schließlich nicht erst in den Spiegel
Weitere Kostenlose Bücher