Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
zu schauen, um zu wissen, dass sie in Bezug aufs Äußere vom Schicksal mit einem wahren Bonuspunkteregen gesegnet worden war. Sie hatte sogar eine Zeit lang mit großem Erfolg als Model gearbeitet, diese Karriere aber dann vorzeitig (und wenn sie ehrlich war, auch rechtzeitig, bevor eine der am Rande der Magersucht balancierenden Kandidatinnen von Heidi Klums Modelcastingshow Germanys Next Topmodel sie irgendwann vom Catwalk geschubst hätte) beendet, um ins Medienbusiness einzusteigen. Scheinwerfer, Mikrofone, spannende Recherchen und Gespräche mit interessanten Menschen, das war ihre Welt, in der sie aufblühte wie die verdorrte Rose von Jericho, wenn man sie nach Monaten wieder mit etwas Wasser beträufelte.
Wäre Melanie nicht so attraktiv gewesen, dann hätte sie ihren Job beim Fernsehen niemals bekommen, das wusste sie. Man konnte als Frau noch so intelligent, redegewandt und charismatisch sein, man hatte ganz einfach keine Chance, vor laufenden Kameras zu stehen, wenn man nicht auch ein attraktives Äußeres vorzuweisen hatte. Oft schien sogar Letzteres zu genügen.
Kolleginnen, die mit nachlassender Attraktivität und zunehmendem Alter ihren Platz nicht freiwillig räumen wollten, wurden mit mehrfach gespaltenen Engelszungen und dreisten Versprechungen, die natürlich nie schriftlich fixiert wurden, in irgendeine unbeliebte Nischensendung gelobt, oder aber ganz einfach wie mit einem übergroßen Feudel weggemobbt.
Melanie war noch jung und vor allem attraktiv genug, um sich auf viele weitere erfolgreiche Jahre beim Sender freuen zu können. Allerdings ruhte sie sich auch nicht auf den genetisch verliehenen Lorbeeren aus, sondern joggte, stemmte, hantelte, massierte und cremte, was das Zeug hielt, um eventuell heimtückisch anschleichenden Fältchen oder vermehrungswilligen Fettzellen erst gar keine Chance zu lassen. Das war zeitweise recht anstrengend, aber die Vorstellung, eines Morgens vor dem Spiegel einen millimetertiefen Graben unter den Augen oder auf den Wangen zu entdecken oder festzustellen, dass in Wirklichkeit nicht die Hose enger, sondern die Taille dicker geworden war, versetzte sie in Panik, der sich nur mit verdoppelten Anstrengungen beikommen ließ.
Es gab ganz einfach nichts Wichtigeres als gutes Aussehen. Wer nicht attraktiv war, hatte schon im Voraus verloren, und kein noch so brillanter Geist konnte ein unattraktives Äußeres ausgleichen, das zeigte sich täglich aufs Neue, egal wohin sie sah. Männer achteten nun einmal in der Regel mehr auf die Körbchengröße und den Hintern einer Frau als auf deren menschliche Qualitäten oder den IQ, und in der Medienbranche war das ganz besonders ausgeprägt.
Aber Gott sei Dank brauchte Melanie sich weder über ihren IQ noch über ihr Aussehen Gedanken zu machen - sie war nicht nur hochintelligent, sondern auch sehr attraktiv und würde alles dafür tun, damit es auch so blieb.
Es gab also ganz objektiv betrachtet wirklich keinen Grund, sie auf eine Schönheitsfarm zu schicken, um dort, wie May gesagt hatte, „für die Sendung noch ein bisschen was am Äußeren zu verändern“.
Eine glockenhelle Stimme riss sie aus ihren Überlegungen.
„ Herzlich willkommen, Miss Vetter! Wir sind sicher, dass Sie sich bei uns sehr wohl fühlen werden!“
Die Stimme gehörte zu einem Gesicht, das Melanie ganz sicher nicht an der Rezeption einer Schönheitsfarm erwartet hätte. Die Frau wirkte zwar durch Körperhaltung, Gestik und Stimme einerseits wie Mitte dreißig, aber andererseits ließ ihre nicht mehr taufrisch wirkende Haut den Eindruck entstehen, dass sie mindestens fünfzehn Jahre älter war. Dieses Gesicht schrie geradezu nach einem Lifting. Und das in Amerika, dem Land, in dem vermutlich das Skalpell der Schönheitschirurgen erfunden wurde!
„ Rachel wird Sie gleich zu Ihrer Suite bringen und Ihnen beim Auspacken behilflich sein. Danach steht schon die erste Behandlung auf dem Programm. Sie werden es genießen!“
Da war sich Melanie nicht ganz so sicher, am liebsten hätte sie sich jetzt mit Mays Unterlagen an einen ungestörten Ort zurückgezogen, um endlich zu erfahren, was in einer Woche auf sie zukommen würde.
Ein hübsches junges Mädchen in pinkfarbenem Overall mit dem über der rechten Brust eingestickten Namenszug Rachel hob mit erstaunlicher Mühelosigkeit die beiden schweren Koffer auf einen kleinen Wagen. Dann durchquerten sie gemeinsam einen gepflegten kleinen Park und betraten den einstöckigen Gebäudeflügel, in dem
Weitere Kostenlose Bücher