Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
hörte, wie verschlafen und verärgert sie über die nächtliche Störung war und dass er deshalb schuldbewusst und möglichst wortlos sofort wieder auflegen würde. Stattdessen ertönte aus dem Hörer eine wie raschelnde Seide klingende Frauenstimme.
„ Einen Moment bitte, Madame, ich verbinde Sie mit Königin O’Bambuu!“
Melanie seufzte. Sie hatte fast schon geahnt, dass es nur ihre Mutter sein konnte, obwohl sie ihr die Nummer des Mermaid ganz bewusst nicht gegeben hatte. Nichts und niemand konnte Bea Vetter nämlich davon abbringen, ohne Rücksicht auf ihre gepeinigten Mitmenschen zu jeder beliebigen Tages- und Nachtzeit zum Hörer zu greifen, wenn sie Begeisterung oder Ärger loswerden oder aber ganz einfach nur ihre chronische Langeweile durch etwas Plaudern vertreiben wollte. Dass sie nun doch in den Besitz der Nummer gekommen war, war vermutlich ein kleiner Racheakt von Thomas, der die Gesprächigkeit von Melanies Mutter kannte und fürchtete und wusste, dass es Melanie genau so erging.
Sekundenlang war nur ein an- und abschwellendes Rauschen in der Leitung zu hören, das in rhythmischen Abständen durch ein kurzes Piepssignal unterbrochen wurde. Dann ein Flüstern, das Melanie dazu nötigte, den Hörer fest ans Ohr zu pressen.
„ Mama, sprich doch bitte lauter, sonst kann ich dich nicht verstehen!“
„ Kind, wie bin ich froh, dich zu hören! Ich muss dringend etwas mit dir besprechen, ich brauche deine Hilfe!“
Wie oft hatte Melanie das schon gehört, und jedes Mal hatte sich herausgestellt, dass ihre Mutter keine Hilfe, sondern nur ein geneigtes Ohr für ihr wie ein nie versiegender Quell Worte hervorsprudelndes Sprechorgan benötigte.
Aber diesmal war etwas anders: sie flüsterte. Und wenn sie flüsterte, dann ging es um etwas, das keiner aus ihrem wie ein Ameisenvolk um sie herumwuselnden Heer von dienstbaren Geistern mitbekommen sollte.
„ Mama, hier in New York ist es vier Uhr morgens!“
Melanie versuchte, möglichst vorwurfsvoll zu klingen. Vielleicht schaffte sie es ja doch noch irgendwann, ihre Mutter daran zu gewöhnen, dass sie vor dem Griff zum Hörer überlegte, ob am anderen Ende der Leitung möglicherweise eine für Telefonate eher ungünstige Uhrzeit herrschte. „Ich werde schon um acht Uhr hier abgeholt und brauche dringend noch etwas Schlaf. Bitte lass uns später ausführlich telefonieren, ja?“
Es mochte ja sein, dass es sich dieses eine Mal wirklich um eine wichtige Angelegenheit handelte, aber die konnte ganz sicher noch bis zu ihrer Ankunft im Appartement warten. Gestern Abend war es über die letzten Glamour-Videos ziemlich spät geworden, und Melanie war jetzt einfach zu müde, um ein erfahrungsgemäß anstrengendes Telefonat mit ihrer in Afrika lebenden Mutter zu führen.
„ Ich rufe dich wirklich sofort zurück, sobald ich in meinem Appartement angekommen bin, dann können wir auch ungestört reden. Versprochen!“
„ Ach Kind - wenn du wüsstest!“
Ihre Mutter legte die ganze Melodramatik ihres großen Vorbilds Marlene Dietrich in ihre Stimme. Melanie kannte das schon, das war einer ihrer Tricks, sie neugierig zu machen und gegen ihren Willen zu weiterem Nachfragen zu veranlassen. Diesmal nicht! Außerdem war ihr gerade wieder eingefallen, dass sie nur deshalb so klein war, weil ihre Mutter die einzige Mutter mit einem Kind ohne Babyspeck sein wollte und Melanie deshalb als Baby alle vier Wochen für drei Tage auf halbe Ration gesetzt hatte. Ganz zu schweigen davon, dass sie schon von klein auf dazu angehalten worden war, von einem angebotenen Teller niemals ein zweites Häppchen zu nehmen, egal wie groß der Appetit war. Das musste jetzt wenigstens durch ein kleines Sprechverbot gesühnt werden!
„ Okay, Mama, du wirst es mir später ganz ausführlich erzählen, ja? Ich melde mich! Ciao!“
Nachdem ihre Mutter schließlich theatralisch ergeben geseufzt hatte, legte Melanie erleichtert über ihren unerwartet mühelos errungenen Sieg auf. Ihre Mutter war schon immer eine Frau gewesen, die ihre Umgebung mit ihren Kapriolen bis an den Rand der Verzweiflung trieb. Aber besonders schlimm wurde es erst nach dem Tod ihres Mannes, der schon vor seinem Tod so blass gewesen war, dass sie es irgendwann vorgezogen hatte, ihn und seine bequemen Filzpantinen nur noch zur Kenntnis zu nehmen, wenn sie wieder einmal ihr Kreditkartenlimit überschritten hatte. Als er durch einen Autounfall wesentlich früher als statistisch vorgesehen das Zeitliche segnete, trauerte
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