Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
dasselbe Stück noch mal, am besten gleich in doppelter Ausführung, nur für alle Fälle. Die haben diese edleren Teile ja Gott sei Dank nummeriert, sodass man sie ganz einfach nachkaufen kann. Das lässt du mir dann mit einem Expressservice zustellen! Ich überweise dir natürlich sofort den Betrag!“
Melanie sah sich schon bei Macy’s durch alle Etagen hetzen, auf der Jagd nach den Kronjuwelen der afrikanischen Königin Bea O’Bambuu I.
„ Okay, Mama, mach’ dir keine Sorgen, ich erledige das gleich Morgen. Und überweisen musst du mir nichts. Du hast doch in zwei Wochen Geburtstag, und ich finde, das ist ein schönes Geburtstagsgeschenk. Also, wie lautet die Nummer?“
Sie nahm Block und Kugelschreiber vom Tisch, ließ sich von ihrer Mutter die fünfzehnstellige Nummer diktieren und wiederholte sie vorsichtshalber noch zweimal, um ganz sicher zu sein, dass morgen auch wirklich das richtige Schmuckstück auf die Reise nach Afrika ging.
„ Ach, Melanie, was bin ich doch für eine Egoistin!“
Melanie musste schmunzeln - welch seltener Moment der Selbsterkenntnis ihrer in der Regel nur um Marlene Dietrich und sich selbst kreisende Mutter! Das Umfeld schleuderte sie meist in einer zentrifugalen Bewegung aus ihrem Wahrnehmungsradius, außer es war irgendwie von Nutzen für ihre exzentrischen Pläne.
Und trotzdem brachte Melanie ihrer verrückten Mutter dieselbe Anhänglichkeit entgegen wie ein Entenjunges dem erstbesten Lebewesen, das in Sichtweite kommt, nachdem das Küken aus dem Ei geschlüpft ist.
„ Ich habe dich noch gar nicht gefragt, wie es dir da in New York geht! Gefällt dir dein Job, und sind die Leute nett?“
„ Morgen ist mein erster Arbeitstag, Mama. Ich war bis heute auf einer Schönheitsfarm, da gab’s noch das eine oder andere an meinem Äußeren, das verändert werden musste.“
„ Was soll das denn heißen? Du bist doch viel hübscher als diese amerikanischen aufgetakelten Moderatorinnen, die vor dem Auftritt bestimmt eine ganze Puderdose und drei Dosen Haarlack brauchen, um einigermaßen kameratauglich zu sein! Du hast das nicht nötig!“
Man konnte Bea Vetter wirklich Einiges nachsagen, aber wenn es um die Belange ihrer erwachsenen Tochter ging, würde sie sogar einer ganzen Kolonie afrikanischer Krokodile erfolgreich die Zähne zeigen, wenn es sein musste.
Ob es sich dabei um späte Reue über den drakonischen Entzug von Gummibärchen und anderer wichtiger Dinge handelte oder um eine ihrer schauspielerischen Glanzleistungen, war noch nicht einmal ihrem regelmäßig konsultierten Psychotherapeuten klar geworden. Klar war ihm lediglich bereits nach der zweiten Konsultation, dass er diese Borderlinemischung aus Hysterikerin, Neurotikerin und Psychotikerin nicht länger als drei Monate als Klientin würde ertragen können, ohne selbst verrückt zu werden. Und so kam es zu einer in der Geschichte der Psychoanalyse sensationellen Kurzzeittherapie von genau neuneinhalb Wochen, nach denen sie als symptomfrei und geheilt entlassen wurde. Allerdings hatten ihre in heiterer Plauderlaune vorgetragenen, geradezu beängstigend anmutenden Assoziationen seine eigenen tiefsten unanalysierten Ängste hervorgelockt und ihm nächtliche Schweißausbrüche, Schlafstörungen und eine Schlangenphobie beschert, die er nie wieder los wurde.
Melanie gab ihrer Mutter eine Kurzversion dessen, was sie seit ihrer Abreise aus Deutschland erlebt hatte, und die totale Stille am anderen Ende der Leitung zeigte ihr, dass ihre Mutter entweder glaubte, dass ihre einzige Tochter nun auch verrückt geworden sei, was allerdings eine gewisse Selbsterkenntnis vorausgesetzt hätte, die ihr abging. Oder aber, was eher unwahrscheinlich war, sie hatte vor Schreck ganz einfach die Stimme verloren.
„ Ich glaube das nicht, Melanie!“
Sie hatte also nicht die Stimme verloren.
„ Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass es Männer gibt, die dicke Frauen schön finden! Und dicke Frauen, die sich selbst schön finden! Und ‚Haut mit Charakter’ – das soll doch wohl ein Witz sein. Oder?“
„ Nein, Mama, das stimmt wirklich! Du solltest sehen, wie Glamour die Massen begeistert. Er hat uns einen Schleier von den Augen genommen, er hat uns das Urwissen wiedergegeben, das schon immer in der Tiefe unserer Seele darauf gewartet hat, gehört zu werden: Das Wissen über das Wesen der Weiblichkeit und der Frau.“
„ Ich weiß nicht, Kind! Fettpolster sind unästhetisch. Und Falten, nein wirklich,“ Melanie
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