Die Trüffelgöttinnen (German Edition)
konnte förmlich sehen, wie ihre Mutter missbilligend den Kopf schüttelte und das Kinn hob, um den Hals zu straffen, „Falten gehören in einen Faltenrock und nicht in das Gesicht einer Frau!“
„ Und wer hat dir das erzählt, Mama? Wer hat dir gesagt, dass alles, was über Kleidergröße sechsunddreißig liegt, unzumutbar und unästhetisch ist, und dass eine Frau nur dann schön ist, wenn sie keine einzige Falte hat?“
Melanie wusste genau, wer ihrer Mutter das gesagt hatte. Sie hatte ihre Großmutter in Erinnerung als eine Frau, die einerseits ihre eigene Weiblichkeit ablehnte und peinlich genau darauf achtete, dass ihr Körper nicht mehr Rundungen zeigte, als erforderlich waren, um die kleinstmögliche Kleidergröße dürftig auszufüllen. Aber andererseits versteckte sie in dem Wahn, nicht schön genug zu sein, ihr Gesicht unter vielen Schichten von Puder und Rouge, die sie erst dann entfernte, wenn sie sicher sein konnte, dass ihr Mann längst schlief und sie nicht ohne diese Schutzschicht sehen würde.
Melanie hatte sich oft gefragt, wie unter diesen Bedingungen eigentlich ihre Mutter gezeugt worden war. Vermutlich im Schutze der Dunkelheit oder an einem als fruchtbar errechneten Tag, an dem sie dann geschminkt zu Bett gegangen war.
Sie hatte ihre Großmutter ein einziges Mal ungeschminkt gesehen, und sie hatte sie ohne all diese Puder, Cremes und Farbschatten im Gesicht eigentlich viel schöner gefunden, aber es nicht gewagt, das laut auszusprechen.
„ Schau doch in die Zeitschriften oder ins Fernsehen oder auf die Werbeplakate, Melanie! Da wird uns doch gezeigt, was Schönheit ist. Woran sollen wir uns denn sonst orientieren?“
„ Mama! Das genau ist es doch, was Glamour meint und was ich jetzt selbst erlebt habe! Wenn wir uns endlich lösen von all den Vorurteilen, von den Einflüsterungen irgendwelcher Irgendwers, die uns ihre persönlichen Vorlieben als das zu lebende allgemeingültige Schönheitsideal präsentieren und ihre persönlichen Abneigungen als das, was wir zu verurteilen und zu verachten hätten, dann erst gelangen wir wieder zu dem tief in uns verborgenen Wissen um die wahre Weiblichkeit. Dann erst kann die Wahrheit aus der Tiefe unserer Seele aufsteigen. Glamour kennt diese Wahrheit, und er hat uns wieder daran erinnert, dass es sie gibt und dass wir uns nur wieder auf unser inneres Wissen besinnen müssen.“
Melanie hatte sich in Fahrt geredet und hätte das Thema am liebsten noch weiter gesponnen. Aber sie spürte, dass ihre Mutter so tief in ihren schon in frühester Kindheit wie mit einer Dauerinfusion in sie hineingeschleusten Fremdüberzeugungen gefangen war, dass vermutlich erst eine direkte Konfrontation mit George Glamour sie aus den Klauen dieses fehlgeleiteten Schönheitswahns befreien konnte.
Sie lenkte deshalb das Thema mit einem geschickten Schlenker wieder auf den verloren gegangenen Schmuck, und nachdem sie ihrer Mutter noch ungefähr zwanzig Mal versichert hatte, dass sie sich ihren Kronjuwelenersatz ganz bestimmt in spätestens drei Tagen um den Hals hängen konnte, legten beide, jede wie immer auf ihre Art zutiefst erleichtert, mit dem üblichen: Mach’s gut – bis bald! auf.
Melanie telefonierte anschließend noch mit May, die ihr begeistert berichtete, dass sie beide am Dienstag das Vorgespräch mit George Glamour haben würden, der am Freitag in der Pilotsendung ihrer neuen Show der ganz besondere Gast sein würde. Glamour hatte bei ihrem gestrigen Telefonat angedeutet, dass er in der Sendung eine kleine Sensation bekannt geben würde, aber obwohl May ihren ganzen Charme in die Wagschale geworfen und ihn sogar fast angefleht hatte, war er nicht bereit gewesen, vor der Sendung auch nur eine winzige Silbe darüber preiszugeben.
So mussten Melanie, May und der Rest der Welt sich notgedrungen bis Freitag gedulden, um zu erfahren, welche Sensation George Glamour für sie bereithielt.
Und wie sich schließlich zeigte, war es wirklich eine Sensation.
* * *
Der alte Ford rollte langsam an der Bordsteinkante aus. Die Straße lag um diese Tageszeit, wo selbst die Fliegen von der Hitze gelähmt waren, da wie ein schläfriger Hund. Nachdem der Fahrer sich versichert hatte, dass weit und breit niemand zu sehen war, stieg er aus, öffnete den Kofferraum und lud die fünf Kartons, aus denen aufgeregte Quietsch- und Pfeiftöne und das vielfache Trappeln winziger Füßchen drangen, auf einen kleinen, mit geräuschlos über den Asphalt laufenden Gummirollen
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