Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
in einem Zuge. Eine stumme Weile beobachteten sie einander, musterten sich wie zwei gegnerische Landesverteidiger. War es wirklich nur Emilie Schiffner, die sich zwischen ihn und sie gequetscht hatte; nur ein Gerücht, das vermocht hatte, sie zu entzweien? Er presste abermals die Finger gegen die Schläfen und rutschte wieder tiefer in die Kissen. Vielleicht wollte er allein sein. Er schloss die Augen, aber nicht lange, weil ihre trockene, leise Stimme jetzt so anders klang: „Hier gibt’s keine Musterwebmaschinen. Vielleicht wird es nie welche geben. Das liegt an uns.“
Er öffnete die Augen wieder. Ihre Stimme war tief, ruhig, balsamierend und täuschte nicht über ein Lächeln hinweg. Diese Stimme, samtig, einlullend, „Treuentzien“. Er wandte ihr sein Gesicht zu. Sie sah ihn aus leuchtenden Augen an. Leuchtende Augen und Samtstimme wie immer, wenn sie drauf und dran war, ein Geheimnis preiszugeben und es doch nicht tun würde. Was war zuerst da, die Henne oder das Ei? Ihre Lügen oder ihre Pläne?
„Was zeichnest du immer?“
„Was meinst du?“
„Wenn du zeichnest, in der Kirche und draußen, dann nicht nur Landschaften, oder?“ Sie schwieg eine Weile. Er erkannte, wie die Längsfalte zwischen ihren Augenbrauen auftauchte. „Wer hat dich letztes Frühjahr portraitiert?“
Sie schwieg, schlug aber nicht, wie er es oft bei ihr gesehen hatte, die Lider nieder. Fiel es ihr etwa so schwer, endlich einmal ehrlich zu ihm zu sein?
Das fragte er sie.
Sie antwortete nicht.
„Keine Lügen mehr, Luisa. Wer hat die Zeichnung gemacht, die du aus Leipzig mitgebracht hast?“
Sie schaute ihm fest in die Augen und erhob sich. „Ich werd es dir nicht verraten. Ich hab eine Abmachung einzuhalten.“
War zuerst die Lüge dagewesen und dann ihre Abmachung? Oder umgekehrt? In gewisser Weise war Caspar sehr beeindruckt von Luisa. „Von wem ist der Auftrag, den du diesmal aus Leipzig mitgebracht hast?“
„Von Paul Keubler.“
„Nicht zu fassen, Luisa. Du lügst immer noch!“ Caspar rutschte wieder tiefer in die Kissen. Er starrte die Dachschräge an und dachte nach. Er war so kraftlos wie nie zuvor in seinem Leben.
„Versuch mich zu verstehen.“
Er schüttelte den Kopf. Er wollte nichts mehr versuchen. „Wovor hast du so große Angst? Du hast doch nichts zu verlieren – alle machen, was du sagst!“
„Ich habe Angst, dass du mich nicht mehr gern hast.“
Er starrte sie fassungslos an. Sie hatte seine Liebe überstrapaziert. Was wollte sie denn noch? „Du hast gelogen, als du gemeint hast, dein Gesicht sei für deinen Vater, stattdessen schleppst du es mit nach Leipzig – oh ja. Luisa, ich weiß mehr, als du ahnst. Fernheim ist längst raus aus dem Damastgeschäft. Er setzt auf Jacquard. Verkauf mich nicht für dumm, und diesen Keubler ...“
„Genug!“ Ihr Satin raschelte schwer und dunkel auf den Dielen, während sie zur Tür schritt. Die Tür krachte ins Schloss. Die Angst, ihre Angst, vom Pfade der Vernunft und der Abmachungen abzukommen, war noch auf der Treppe zu hören. Hastige, polternde Tippelschritte. Mit dem Schlagen der Haustür wurde ihm ganz schlecht.
Am folgenden Vormittag wurde er von seinem Vater und Doktor Bender geweckt. An ihren lauten Stimmen und ihren hocherfreuten Mienen erkannte er, dass sie eine ganze Weile versucht haben mussten, ihn wach zu bekommen. Er wollte lieber Luisa bei sich haben. Wo war Luisa?
„Wie geht es Ihnen, Herr Weber?“ Der Arzt lächelte breit.
„Ich bin das blühende Leben“, näselte Caspar durch seine verstopfte Nase und versuchte seine verklebten Augen zu öffnen.
„Ihr Hang zum Zynismus beschreibt einen vorzüglichen Weg der Genesung“, sprach der junge Doktor und reinigte Caspars Augen mit Kamillensud. Dann machte er sich daran, mit einem dünnen Rohr Caspars Brust und Rücken abzuhören.
„Wie lange geben Sie mir noch?“
Auf die Frage des Webers war der Arzt nicht gefasst. Er guckte etwas irritiert. „Nun, Herr Weber, Sie sind auf dem Weg in die Gesundheit.“
„Was für ein Elend.“
„Sie belieben zu scherzen. Fräulein Treuentzien schickt mich, nach Ihnen zu sehen. Sie erwähnte mir gegenüber, dass Sie eine mürrische Natur seien. Dennoch zählt sie Sie zu den optimistischen Menschen. Eine recht eigentümliche Charakterisierung, wie ich finde. Dies hier ließ sie mich Ihnen überbringen.“ Der Arzt drehte ein Wachstuchpäckchen in den Händen, breit und flach sah es aus. „Es fühlt sich wie ein Buch an.“
Aus
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