Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Voll Sekret, wie ich sehe. Das kommt aus den Tränendrüsen. Es ist ja alles sehr überhitzt, die Gefäße sind weit, das ist nun mal so bei Fieber. Keine Herzbeutel- oder Rippenfellentzündung, wie ich feststelle, dafür ist aber die Bindehaut gereizt. Das kleinere Übel, wenn Sie mich fragen. – Meine Eltern würden nie ihre Egge gegen das Skalpell tauschen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
„Jeder nach seiner Berufung, nicht wahr?“, meinte Caspars Vater, während Caspar sich wieder das Hemd zuband.
Der Arzt zeigte sein offenherziges Lächeln und nickte ihm zu. „Und ausgerechnet auf Sie und Ihren Sohn, Meister Weber, kann das Damastgewerbe nicht verzichten. Also, werden Sie gesund!“ Mit einem Schulterklopfer verabschiedete sich der Arzt und Caspar hörte die Stimmen der beiden durch die offene Türe: „Ich schreibe Ihnen etwas auf, was die Augen wieder frei macht. Herr Jacobi wird es frisch zusammenrühren.“
„Meine Frau wird sich darum kümmern, Herr Doktor.“
„Oh, das wird nicht nötig sein, Meister Weber, Fräulein Treuentzien besteht darauf, die Rezepte zu Herrn Jacobi zu bringen, wenn sie hinauf in den Mandauweg geht. Es liegt ja auf gleicher Strecke. Nett von ihr, nicht wahr?“
Sehr nett. Noch netter würde er es finden, wenn sie zu ihm käme. Das Wachstuchpäckchen drückte er gegen seine Nase. Es duftete nach Luisa und macht ihn ganz schwach. Die Bücher. Lyrik. Na ja. Er las sie trotzdem. Und als sie zu Ende gelesen waren, wurde ihm langweilig.
Die Sonne zeigte sich ab und zu durch die dicken Januarwolken, aber richtig hell wurde es dieser Tage nicht.
Als er es gar nicht mehr aushielt in der Jungskammer, die nur von Mutter besucht wurde, wenn sie die Mahlzeiten heraufbrachte, schlang er sich die Decke um und tapste hinunter in die gute Stube. Seine Mutter schimpfte mit ihm, als wäre er erst zwölf, und stellte ihm einen Stuhl an die Ofenwand. Er wollte aber nicht sitzen. Ihm tat der Hintern weh vom vielen Herumsitzen. Sein Vater und Clemens diskutierten wie eh über das königliche Regiment. Die Zeit war höchstens in seiner Rumpelkammer stehen geblieben, hier unten jedoch nicht. Neujahr war vorüber, Heilige Drei Könige war vorüber, der halbe Januar war vergangen und die Vogelhochzeit wurde von den Kindern vorbereitet. Clemens saß auf gepackten Koffern. Es wurde höchste Zeit, dass er wieder abreiste.
„Christiana Haller hat ein Mädchen bekommen“, berichtete seine Mutter. Das interessierte ihn wenig. „Fräulein Treuentzien hat das erzählt.“ Das interessierte ihn viel mehr.
„Wann war sie hier?“
„Oh ...“ Seine Mutter schaute zwischen Caspar und den Männern am Tisch hin und her. „Sie ist fast jeden Tag hier, Caspar. Bringt uns Freud und gute Laune.“ Letzteres sang sie und strahlte über beide Ohren. Auch Clemens strahlte und Caspar rümpfte die Nase. Ihm brachte Luisa Bücher von Leuten, die mit fünfundzwanzig an der Lunge gestorben waren. Sehr erbaulich! Luisa fehlte ihm. Er wollte sie zurückhaben.
„Kann ich Montag die Leinwand zu den Treuentziens bringen“, fragte er, ohne jemand Bestimmtes anzuschauen, während seine Mutter ihm einen dampfenden Becher Kräuteraufguss in die Hände drückte. Von seinem Bruder wurde er aufmerksam beobachtet, das sah Caspar aus dem Augenwinkel.
„Du bist noch zu schwach und draußen ist es zu kalt.“
Caspar sparte sich einen Streit. „Wo ist eigentlich Balthasar?“
„Bei Mätzig.“ Es war ein hinter einem Becher Tee verstecktes Seufzen, das sein Vater hören ließ, begleitet von einem Schulterklopfer seitens Clemens, der gar nichts kapierte.
Am darauf folgenden Tag reiste Clemens ab und Caspar verließ endgültig das Krankenlager, um bei der Leinwand zu helfen. Er musste sich irgendwann durchringen, mit Luisa über das nächste Keubler-Tuch zu sprechen. Aber er war zu stolz. Sie sollte sich erst ihre Lügen und ihren Stolz abschleifen, vorher war er nicht bereit, sich auf den nächsten Auftrag einzulassen. An dem hing so viel mehr!
Die Wochen vergingen und Luisa wartete vergeblich auf ein versöhnliches Zeichen von Caspar. Die alltägliche Routine hatte sie im Griff.
Luisas Vater saß ihr gegenüber am Schreibtisch. Ins Kontor fiel kaum Licht, weil es draußen trüb war. „Sollte Balthasar Weber auf Mätzigs Angebot eingehen“, sagte ihr Vater, während er die Bücher durchging, „muss sich der alte Meister nicht mehr bis zum letzten Zoll Leinwand abstrampeln. Das bringt für alle einen
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