Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Vorteil. Außerdem sind die Verhältnisse der Webers alles andere als geordnet.“
In Luisa staute sich der Grimm. Sie brauchte Balthasar für den nächsten Auftrag. Aber es war hier nicht ihre Aufgabe, mit ihrem Vater über die Webers zu streiten. Luisa erhob sich vom Schreibtisch und zog das Buch „Verlegte Ware Februar ’31“ aus dem Regal. „Wollen wir anfangen?“ Ein Blick aus dem Fenster des Kontors sagte ihr, dass die Weber zur Montagsabgabe schon scharenweise auf dem Mandauweg warteten.
„Gleich, Luisa, gleich.“ Ihr Vater brachte seine Weste in Ordnung, als wolle er für die Weber besonders fein aussehen. „Da ist noch etwas, das ich mit dir besprechen möchte.“
„Ach ja?“ Sprach Misstrauen aus ihrer Stimme?
„Ja“, ihr Vater räusperte sich. „Ich habe dich betreffend ein sehr interessantes Gespräch mit Clemens Weber geführt, bevor der wieder abgereist ist.“
„Mich betreffend?“
Der Mann neigte seinen Rumpf ein wenig, um die oberste Schreibtischschublade zu öffnen. Er entnahm ihr einen Brief. „Das kam heute für dich.“
Luisa nahm den Brief entgegen und ihr Herz setzte mit dem nächsten Schlag aus, als sie den Absender entzifferte, den ihr Vater prompt rechtfertigte: „Ich habe Clemens Weber gestattet, dir zu schreiben.“
„Du hast was?“
„Ehrlich gesagt hatte ich schon befürchtet, er habe es sich anders überlegt. Wie kann man sich fünf Wochen Zeit lassen, ehe man schreibt? – Was schaust du mich so wütend an, Luisa? Ein bisschen Konversation per Papier tut nicht weh und es wird Zeit, dass sich mal wieder ein Mann für dich interessiert.“
Sie war sprachlos. Und ihr Vater hatte das ganz richtig erkannt: Sie war wütend, klopfte mit dem Brief in der Rechten in die Handfläche der Linken. „Wäre es nicht angebracht gewesen, mich um Erlaubnis zu fragen?“
Ihr Vater wiegte den Kopf, kramte nun in seiner grün-in-grün-karierten Weste nach seinem Rauchzeug und begann damit, sich eine Pfeife zu bereiten. „Deine Schüchternheit schreibe ich deinem Anstand, deiner behüteten Erziehung und deiner Unschuld zu.“
Pff! Unschuld!
„Aber mir ist nicht verborgen geblieben, wie viel Zeit du seit Weihnachten bei den Webers zugebracht hast. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, weil ich deine Wahl für angemessen erachte.“
„Meine Wa..., meine Wahl, Vater?“
„Der Clemens ist eine anständige Partie. Wusstest du, dass er im Monat so viel an Sold verdient, wie sein Vater für einen Auftrag von Liebig & Co. bekommen hat?“
Luisa schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ehrlich gesagt, Luisa, vermag ich die Zwillinge Caspar und Clemens Weber nicht auseinanderzuhalten, wenn der Clemens in Zivil unterwegs ist, aber ich muss es ja auch nicht, sondern du!“
„Verzeih, Vater, aber dazu habe ich heute keine Lust!“ Was genau sie meinte, konnte ihr Vater unmöglich wissen. Sie erhob sich wieder, steckte den Brief in ihre Lederkladde und strich gedankenverloren ihr Rockschößchen glatt. „Für den Brief ist jetzt keine Zeit, Vater, lass uns anfangen.“
Die Weber wurden einer nach dem anderen abgefertigt, ohne dass Luisa groß Notiz von ihnen nahm. Umso erstaunter war sie, dass, angekommen bei „W“, Caspar selbst die Leinwand seines Vaters abgab. Oh Gott, wie gut er aussah. Lediglich ein knappes Kopfnicken hatte er für sie übrig, sonst nichts. Lass mich sterben. Sein Anblick tat so weh, so weh. Sie hatten kein vertrauliches Wort mehr gesprochen seit jenem Tag, da er von seinem Vater aus Zittau heimgeholt worden war. Sie hatte gedacht, sie würde über diese Liebelei hinwegkommen. Mit der Zeit. Aber die Zeit hatte den Stachel im Herzen eitern lassen, und jetzt zupfte allein sein Anblick an ihm herum, dass es entsetzlich schmerzte. Gleich würde sie in Ohnmacht fallen. Gleich!
Oder doch nicht. „Luisa! Den Fadenzähler, bitte!“
Es fiel ihr so schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Es verlangte sie nach Caspar, aber ihn offensichtlich nicht nach ihr. War sie für ihn Luft? War er fertig mit ihr? Nicht ganz, denn zum Abschied schaute er ihr in die Augen, ganz kurz, ganz flüchtig, flackernd. Er tippte an den nicht vorhandenen Hut und Luisa wollte im Boden versinken vor lauter Unglück.
Fertig. Abnahmemontag beendet. Ihr war schwindelig. „Vater, wenn du erlaubst“, ihre Stimme bebte und das ärgerte sie, „will ich nun Clemens’ Brief ...“
„Freilich.“ Ihr Vater hob nicht einmal den Kopf.
Luisa rannte förmlich aus dem Büro und angelte
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