Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
setzte sich den Hut, dessen Krempe er unaufhörlich geknetet hatte, auf. „Wir müssen jetzt schneller vorankommen mit Ihren Tüchern, Fräulein Treuentzien, damit wir die Auflage termingerecht erfüllen können.“
„Was?“ Luisas Stimme war ein Flüstern.
„Caspar hat gar nicht abgedrückt.“
Caspar tot? Das ging nicht. Das konnte nicht sein.
Meister Weber nahm ihre Hand in die seine und drückte ihr einen Gegenstand, den sie zu gut kannte, in die Handfläche. Der kleine Ring klimperte am Silberkettchen. Luisa schluchzte auf und der alte Meister sprach weiter: „Clemens hat ihn am linken Ohr gestreift. Der Ring ist futsch, so viel steht fest.“ Ein mattes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sich ans eigene Ohrläppchen mit dem Ohrring tippte.
„Was?“
„Blut wurde vergossen, somit gilt Caspar als geschlagen. Clemens hat Zittau verlassen und wird sich bei den Preußen in den Dienst stellen lassen. Und Ihren Caspar haben Sie Anfang September zurück, Fräulein Treuentzien.“ Damit wandte sich der Meister ab und ging ins Haus.
Luisa ächzte, ließ sich auf den warmen Sand des Weges gleiten, öffnete ihre Hand und strich über den Hornring an ihrem silbernen Armkettchen. So verharrte sie eine Weile in unfassbarer Erleichterung.
Anhang
NACHWORT
Herbst 2007 bis Herbst 2013
Einst kämpften zwei Brüder um eine Zittauer Jungfrau in der Nähe der Frauenkirche auf offener Straße.
Zwei Ringe im Steinpflaster, etwa 100 Schritte vom Frauenkirchhofe, bezeichnen heute noch den Platz, wo der Kampf stattfand. Das Frauenbild von Stein, auswendig an der Kirchhofsmauer, einige Ellen nördlich vom Tore, soll jenes Mädchen vorstellen, welches, da es die Veranlassung zu jenem Zweikampfe war, angeblich hier lebendig eingemauert worden sein soll.
(nach: Die Sage von den Steinernen Ringen: In Sachsenzeitung 1831. Nr. 109. Lausitz. Mag. 1832. Nr. 28. May)
Luisa wurde nicht in die Wand der Frauenkirche eingemauert.
Der im Roman beschriebene Aufstand Anfang September 1830 bildete den Auftakt der großen Märzrevolution, die sich 1848 ausbreitete, und legte damit den Grundstein für die Weberaufstände in den deutschen Ländern, insbesondere in Schlesien, wo die Lebensumstände der Weber besonders hart waren.
Als Schülerin, als Studentin und später als Lehrerin war und bin ich vom Thema mutiger Weber fasziniert. Ihr Erbe prägte meine Ausbildung im Textilland der Oberlausitz. Gerhart Hauptmann („Die Weber“, 1893) oder Heinrich Heine („Die schlesischen Weber“, 1845) sind nur zwei der Größen, die sich im 19. Jahrhundert dieses Sujets literarisch annahmen. Und wir kennen die traurigen Lithographien hohlwangiger weinender Weber von Käthe Kollwitz („Weberzug“, 1897).
Meine Heimat blickt auf eine lebendige und wechselhafte Geschichte zurück. Viele Menschenleben wurden gelassen für den Kampf um das Recht an einem umstrittenen Landstrich zwischen drei Königreichen, dem Dreiländereck.
Einige von Caspars Zügen wurden inspiriert durch Johann Eleazar Zeissig, der in Großschönau im Zittauer Gebirge als elftes Kind einer sehr verarmten Weberfamilie, die sich manchen Tag von Kartoffelschalen ernähren musste, mit Ausdauer und Liebe die Musterzeichnungen kopierte, die sein Vater in Damaste umwandelte. Aus dem Jungen wurde einer der berühmtesten Maler unserer Gegend.
Die Industriellen Mätzig, Liebig und Haller sind inspiriert durch namenhafte Verleger des Zittauer Gebirges.
Der manuelle Damastwebstuhl wird heute liebevoll der „erste Computer“ genannt. An ihm arbeiten zu können – egal ob als Weber, Zieher, Kettreiger (Kettfadenbestücker) oder Musterleser (Schnürebündler) –, erforderte Jahrzehnte Lehrzeit und Erfahrung. Nicht ohne Grund war es den in Großschönau (heutige Oberlausitz) arbeitenden Damastwebern verboten, das Dorf zu verlassen. Keines der gut gehüteten Geheimnisse der Damastweberei durfte nach außen dringen. 1832 befanden sich in Großschönau 950 gangbare Damastwebstühle und es ging ein Warenwert von über einer halben Millionen Talern über die Kontrolltische.
1834 wurde dort die erste Jacquard-Musterwebmaschine in Betrieb genommen. Obschon es bereits 1785 mechanische Webmaschinen gab, brachte erst Joseph Maria Jacquard (1752–1834) eine Musterwebmaschine zuwege, deren Mechanik auf einer Endloslochkarte/auf Lochstreifen basierte. Das Prinzip glich dem eines Computers: Auf der Lochkarte waren die Informationen
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