Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
sie geradewegs seinen Blick traf, denn auch er hatte sich nach ihnen umgedreht.
„Was wollte er von dir?“ Luisa war kein geduldiger Mensch.
Christiana blieb abrupt stehen und schaute sie eindringlich an. „Luisa, er wollte, dass ich dich überrede, dass wir weder meinem Vater oder Karl Gotthelf noch deinem Vater etwas vom Vorfall eben erzählen.“
Luisa war erstaunt und auch ein bisschen gereizt. „Na, dann fang mal an.“
Caspar setzte sich wieder neben Alfons Kerner und orderte ein Bier. Weil die Zunftsitzung nun endlich beginnen sollte, wurden die Frauen entlassen und dort, wo eben noch Emilie Schiffner gesessen hatte, saß jetzt ihr Bruder Peter.
„Du rennst doch nicht allen Ernstes der Haller hinterher?“, meckerte Alfons Kerner.
„Hättest du das mal lieber gemacht. Es geht um deinen Arsch!“ Caspar nahm einen langen Schluck.
„Hat die Treuentzien wirklich ‚Arsch‘ gesagt?“ Peter Schiffner grinste über den Rand seines Bierkruges.
„Zwei Mal.“ Herrmann Tkadlec stieß mit Alfons Kerner an, beide lachten in sich hinein. „Der Annika müsste wirklich mal einer die Fischgräten aus dem Korsett ziehen, damit die entspannter wird.“ Herrmann, Peter und Alfons lachten schallend auf, prosteten einander zu.
„Aber nicht du.“ Caspar grinste zur Schmollschnute von Herrmann. „Sonst sag ich’s Elsbeth.“
Herrmann wiegelte ab, dann tönte der Türpe die Versammlungseröffnung. Schluss mit lustig. Aber Caspar war in Gedanken nur bei Luisa Treuentzien und bekam nicht mit, was es für neue Webstuhlsteuerkonzessionen gab. Es interessierte ihn auch nicht.
Wieso sollte sie dem Kerner das durchgehen lassen? Das fragte sie Christiana, aber die nahm die Meuterei nicht so ernst. „Steigere dich nicht in die Firma hinein, Luisa. Wenn Matthias mit dem Studium fertig ist, brauchst du nicht mehr zu arbeiten.“
„Gott, ja, Matthias. Ich möchte jetzt nicht über Matthias Kollmar sprechen.“ Matthias Kollmar. Student der Geologie, gutaussehend, aber ohne jegliches Interesse an ihr. Die Ehe mit Matthias Kollmar würde standesgemäß und gut sein, aber auch das Ende ihres Lebens bedeuten, ihres freien Lebens. „Immer dann, wenn wir über Matthias sprechen, scheint alles so endlich. So unendlich endlich.“
„Ich weiß“, Christiana hakte sich bei Luisa unter. Fleck verfolgte nun ganz begierig eine Fährte.
„Er ist so ... wie soll ich sagen ... Er macht keine Freude.“
„Freude! Luisa, wo lebst du! Freude! Das Leben ist nicht dazu da, Freude zu haben. Lass uns hier entlang gehen.“ Luisa folgte nicht ihrer Freundin zur Mühle hinunter, sondern blieb auf dem Mühlensteg stehen. Christiana stand neben ihr und schaute versonnen dem Wasser beim Sprudeln zu. „Das Leben macht keine Freude, Luisa. Sei fromm, mehre dich, und wenn du sündigst, dann tue Buße!“
Luisa nickte. „Wenn jeder das machen dürfte, was er gut kann, dann hätte man Freude am Leben. Du zum Beispiel, Christiana, du warst so gut im Bänderweben.“
„Das ist lange her, schon gar nicht mehr wahr!“
„Vater würde wahrscheinlich viel lieber Glasschleifer von böhmischem Kristall sein als Expediteur.“ Wenn Damastweber Leinwand machen müssen, macht ihnen das Leben keine Freude, überlegte sie, sagte es aber nicht. Außerdem machte den meisten Damastwebern das Damastweben keine Freude. Vielleicht war der eine oder andere Künstler am Damastweben verloren gegangen. Christiana hatte recht: Das Leben war nicht dazu da, Freude zu haben.
Christiana ruckte sanft an ihrem Arm. „Deine Ansprüche werden vergehen. Wart ab, bis Matthias mit dem Studium fertig ist. Und dann ... mmh ... Es wird alles gut. Du weißt nicht, welches Glück du mit ihm hast!“ Jetzt war Christianas Tonfall energischer, beinahe schon leidenschaftlich. „Wie viele Mädchen aus diesem Nest können von sich sagen, einen studierten, gut aussehenden und vermögenden Jungen zu heiraten?“
Ja, das war Matthias. Alles, was Christiana von ihm gesagt hatte, stimmte. Von all diesen Attributen aber stieß sich Luisa an dem „Jungen“. Matthias war ein Junge. Ein Junge in einem siebenundzwanzig Jahre alten Körper, grün wie ein Fink. Er würde noch als Greis jungenhaft und unbedarft durch die Welt spazieren. Luisa und Matthias Kollmar würden so lange miteinander verlobt sein, bis sie, Luisa, eine vertrocknete Wachtel war, bis sie das Besticken von Schnupftüchern, das Lesen von jambischen Stanzen, das Arrangieren von Blumenbuketts, das
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