Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
bitte dich, heute dabei zu sein.“ Luisa meinte die Warenannahme und ihrer Mutter passte das gar nicht in den Plan. Sie rührte eben an einem buttrigen Schokoladenguss für den Kuchen zur Vesper. „Weißt du, wenn du schon mit Matthias verheiratet wärst, müsste ich hier nicht meine Zeit vertun.“
„Wenn ich mit Matthias verheiratet wäre, würde ich sicherlich nicht mehr für Vater arbeiten.“
„Touché, Madame.“ Ihre Mutter lächelte, breitete ihren Rock aus und nahm in Vaters opulentem Bürosessel Platz.
Je mehr Weber sie abfertigte und je näher der Buchstabe W auf der Liste heranrückte, desto nervöser wurde Luisa. Aber die schlimme Neuigkeit wurde von Meister Weber dermaßen nüchtern und gefasst aufgenommen, dass sie erschrak. Gern hätte sie für die makellose Arbeit der Ostritzer Tücher mehr ausgezahlt, das durfte sie aber nicht eigenmächtig entscheiden.
„Es tut mir leid, Meister Weber.“ Ihre Stimme war ganz dünn.
Der Weber rang sich ein schnelles Lächeln ab und setzte sich die Mütze auf den Kopf.
„Ich bin sicher, die Konjunktur wird sich erholen.“
„Luisa“, mahnte die Mutter von Vaters Schreibpult her.
„Sechsundfünfzig Ellen Leinwand wöchentlich, Meister Weber.“
„Ja, das Übliche.“ Er seufzte, als er das sagte, und Luisa ging es dabei ganz elend.
„Es tut mir wirklich leid.“
„Luisa, bitte.“
Der Weber nahm die mahnende Stimme von Gustine Treuentzien zum Anlass, das Kontor zu verlassen.
„Du bist nicht ihr Kindermädchen, Luisa.“
Anstatt ihr mit dem Verstauen der Bücher und der abgegebenen Musterzeichnungen zu helfen, hob ihre Mutter einen Vortrag die Liederlichkeit gewisse Weber betreffend an. Luisa hörte nur mit halbem Ohr zu, ihr taten die Menschen leid, deren Schicksal sie in der Hand hatten. Ihre Mutter verstand auch zu wenig von den Dingen, als dass Luisa ernsthaft mit ihr über die Arbeit sprechen konnte. Aber sie wusste, dass sie sich als Expediteurin bei den Häuslern nicht gerade beliebt machte.
Jetzt stand eine herrliche Woche voller Büroarbeit bevor. Herrliche sieben Tage, in denen sie mit keinem der Weber konfrontiert werden würde. Das zumindest war ihr Wunschdenken. Aber noch in derselben Woche, als sie einen Abendspaziergang mit ihrer Freundin Christiana Haller unternahm, musste sie sich und ihre Position unter Beweis stellen.
Es war ein milder Märzabend, hell und der Vorbote für einen wundervollen Frühling. Fleck schnupperte in jedem Winkel, als Luisa und Christiana eine Menschenansammlung bemerkten.
„Wie sie zu uns herüberstarren!“ Christiana hatte Angst vor den Webern wie die meisten Bürgerlichen. „Ich verwette mein Ridikül, wenn sie sich nicht zufällig über dich unterhalten, Annika.“ Christiana ignorierte den missbilligenden Blick ihrer Freundin, wollte einen anderen Weg einschlagen, aber Luisa war zu neugierig zu erfahren, was dort vor sich ging.
Sie marschierte zielstrebig zu den Leuten hinüber, die sich vor dem Zunfthaus tummelten. Die Männer lüfteten die Schirmmützen, die Frauen knicksten. Nicht alle Frauen. Eine der jüngeren Frauen fesselte Luisas Aufmerksamkeit. In ihren dunkelbraunen Augen vereinten sich Stolz und Spott. Es war eine hübsche Frau, blass, sogar ein bisschen rundlich. Sicherlich eine der Töchter der besser verdienenden Damastwebermeister. Luisa kramte in ihrem Gedächtnis nach ihrem Namen, kam aber nicht darauf. Es war eine Hand, die sich auf die Schulter der jungen Frau legte und sie mit sich zog. Die Leute verschwanden einer nach dem anderen im Zunfthaus.
„Was wird gefeiert?“, rief Luisa den an, der zuletzt durch die Türe huschen wollte. Der Mann drehte sich um. Es war Altmeister Schiffner, der sie jetzt aus erstaunten braunen Augen ansah. Und nun, da die Ähnlichkeit unverkennbar war, wusste Luisa auch, wer die junge Frau war, die nicht gegrüßt hatte. Emilie Schiffner, Tochter des Altmeisters.
„Vierteljährige Zunftversammlung, gnäd’ges Fräulein.“
Luisa nickte und fragte dann, einer Eingebung folgend: „Frauen bei der Zunftversammlung?“
„Nur für die Vorbereitungen, gnäd’ges Fräulein.“
Luisa nickte abermals. Es dunkelte bereits und sie wollten ihren Spaziergang fortsetzen, da schwappte etwas ganz und gar Ungutes aus der Zunftstube an Luisas Ohr: „Ringet kühn für Recht und Freiheit. Jauchzet: Hoch die freie Welt!“
Luisa war mit zwei Schritten im Zunfthaus, schob sich und Fleck an Meister Schiffner und seiner Tochter Emilie vorbei. „Wer war
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