Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Schreiben von sinnleeren Briefen an einen Mann perfektioniert haben würde, den sie bis zur Stunde seines Todes nicht würde kennenlernen dürfen, weil die Gepflogenheiten jedes persönliche, gar vertrauliche Gespräch zwischen Eheleuten verbat. Sie würde neben einer Gestalt her leben, die sie nie lieben lernen würde, und ihr graute vor der Vorstellung, ihr einziges Leben, das ihr von Gott gegeben war, neben jemandem zu vertun, der gar kein Interesse an ihr, sondern nur an ihrem Namen und ihrer guten Kinderstube hatte. Wie würde es sich leben lassen als Schablone, nach der ihre Kinder und ihre Kindeskinder gebildet würden?
„Ich will aber nicht erst als Elster einen Raben heiraten.“
„Was?“ Christiana hatte leise aufgelacht, wurde aber gleich wieder ernst.
Luisa schüttelte den Kopf und den Gedanken an die Vogelhochzeit ab. Sie würde nicht als Elster wiedergeboren, oder doch?
„Und die Webermädchen?“ Luisa starrte auf den am jenseitigen Mandauufer hängenden Balkon Auf dem Sande. „Sind die auch ganz bestimmten Männern aus ganz bestimmten Gründen versprochen?“
„Zumindest hat ein Weber keine große Wahl: Seine Töchter heiraten wieder Weber und deren Kinder auch und so weiter.“
„Und wenn die Mädchen Weber heiraten, wie ist das dann mit den Jungen?“
„Es ist nun mal so, dass die Gewerke unter sich heiraten. – Komm jetzt weiter.“
Aber Luisa ließ sich nicht von ihrem Flecken fortreißen. Christiana musste schließlich bemerkt haben, dass Luisa die Augen nicht von Friedrich Webers Haus lassen konnte: „Ich weiß, dass Herrmann Tkadlec Elsbeth Weber heiraten wird, nächstes Jahr im Mai, wenn Elsbeth achtzehn wird.“
„Woher weißt du das so genau?“
„Na hör mal, so oft der Mätzig seine Nase in die Bücher von Liebig & Co. steckt, so häufig stecken Gotthelf und Vater ihre Nasen in Mätzigs Bücher. „Und wieso ist Caspar Weber nicht verheiratet?“
Christiana überlegte eine Weile und schaute nun genauso nachdenklich zum Haus der Webers hinüber, wie es Luisa die ganze Zeit tat: „Er war verlobt.“
„War? Wieso war? Was ist aus dem Mädchen geworden?“ Luisa klang nicht im Geringsten so gleichmütig, wie sie es beabsichtigt hatte.
„Tot.“
„Tot?“
„Ich kenne diese Leute doch nicht.“ Christiana meinte nicht die Familie des Friedrich Weber im Speziellen, sondern die Weber im Allgemeinen, die sich seit jeher absonderten und unter sich blieben. „Und seit wann interessierst du dich für Caspar Weber, Annika?“
„Woran ist seine Verlobte denn gestorben?“
„Weberkrankheit, soweit ich weiß: Staublunge oder Herzrheuma oder was immer die Weberei mit sich bringt. Die Fasern, die beim Weben von den Fäden gescheuert werden, setzen sich im Innern fest ...“ Christiana klopfte auf ihre Brust. „Und die Mandau bringt obendrein Lungenentzündung und Schwindsucht aus dem Gebirge mit herunter.“
Luisa war erschüttert.
Nie hatte sie über die Weber so nachgedacht wie an diesem Abend. Später in ihrer Kammer lief sie so lange auf und ab, bis ihre Schwestern protestierten. Sie war unruhig, wurde von all den Ereignissen heimgesucht. Sie fühlte sich klein, dünn wie Papier, schwach und allein und sehnte die Rückkehr ihres Vaters herbei. Die Zusammenstöße mit den Häuslern hatten ihr zugesetzt und sie für sich selbst fremd gemacht. Luisa ertrug weder das Alleinsein noch ihre Schwestern und sie wusste nicht, was sie eigentlich wollte.
Ludovike bestickte wieder irgendwas und Josephine schrieb einen Brief am schmalen Sekretär, um dessen Platz die drei sich oft genug stritten. Ihr Blick fiel auf ihr Spiegelbild im großen ovalen Spiegel. Ihr Haar war zerzaust, wie meistens, was immer wieder Anlass zu Kritik seitens ihrer Mutter führte. Sie angelte nach ihren Kohlestiften und der Zeichenmappe und setzte sich auf den Dielenboden.
„Das ist nicht damenhaft“, schulmeisterte Josephine, ohne von ihrem Geschreibsel aufzusehen. Luisa ließ sich nicht maßregeln. Sie war die Älteste!
Sie betrachtete ihr Gesicht eine Weile. War sie eitel? War sie hübsch? Wie wurde sie von Außenstehenden wahrgenommen? Von Matthias? Von den Häuslern? Püppchen, Dame, Königin?
„Wird das ein Selbstportait? Wie dekadent!“, spöttelte Josephine.
„Schreib weiter“, murmelte Luisa, sog die Luft scharf ein und setzte behutsam den Kohlegriffel auf das Papier. Sie führte die feinen Linien der Unterlippe ihres Spiegel-Ichs aus, formte ihr spitz zulaufendes Kinn, ihre leicht
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