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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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lagen zerknautscht an ihrer Wange. Sie dufteten nach Myrrhe, Minze und Salbei. Nach Caspar Weber.
     
    Luisas Vater und der Rest der Familien Kollmar und Treuentzien hatten sich bald mit den neuen Umständen und der für den Herbst anberaumten Hochzeit arrangiert. Ihre Mutter kaufte beim Krämer Jacobi ein: Spitze in Unmengen und weißes Stickgarn für Luisas Hochzeitskleid. Cremefarbenen Damast hatte man schon vor Monaten weben lassen.
    An einem feuchtkalten Abend Ende April, den die meisten Menschen im Dorf in ihren Stuben bei den Vorbereitungen für die Walpurgisnacht zubrachten, sprach Richard Musiak, ein Leineweber aus dem Niederdorf, mit einer Nachricht vor, die Ludwig Treuentzien nachdenklich stimmte und Luisa ganz und gar aus der Bahn warf.
    „Es steht außer Frage, Vater, dass wir zur Beisetzung erscheinen werden.“
    Ludwig Treuentzien nickte und blätterte in seinem Notizbuch. Er war auf jeder einzelnen Beerdigung seiner Häusler erschienen, und das aus Gründen des Anstandes, welche Luisa erst zu der Zeit, als sie bei ihrem Vater zu arbeiten begann, begriffen hatte. Ihr Vater strich einen Termin mit dem Verleger Liebig aus seinem Buch heraus und setzte stattdessen die Beerdigung des Häuslers Albert Wanger ein. Und seufzte: „Zuerst der Sohn, dann der Ehemann. Nicht leicht für die Wangern.“
    „Es würde dem Ansehen von Export Treuentzien und Liebig & Co. nicht schaden, wenn ich bei der Witwe Wanger vorstellig werde.“
    „Wozu?“
    „Vater, bitte ... Ich weiß nicht wozu. Eben aus Höflichkeit. Wir sollten zeigen, dass es uns nicht egal ist, was aus den Hinterbliebenen wird.“
    „Aber dazu ist das Armenhaus da.“
    Luisa schluckte. Das Armenhaus. Der schiefe Kasten, der am Hutberg lauerte und vor dem ewig die mit Waid gefärbten Tuche zum Trocknen hingen. Sie fürchtete sich vor dem Armenhaus. Es war der Inbegriff von Elend, Krankheit und Tod. Niemand lebte dort länger als ein halbes Jahr.
    Ludwig Treuentzien, der alles Private an den Webern mied, ließ sie gehen.
    Als Luisa noch am selben Abend das Umgebindehaus der Familie Wanger betrat, schlug ihr ein Geruch nach erkalteter Asche und Mäusedreck entgegen, von dem sie nicht sagen konnte, ob er von der im Obergeschoss aufgebahrten Leiche des Häuslers Wanger herrührte oder von den Ärmsten der Leineweber, die sich im Haus drängten, um der Witwe ihr Beileid auszusprechen und sich am Leichenschmaus gütlich zu tun. Luisa konzentrierte sich darauf, nicht ihr Taschentuch zu zücken und es vor ihre Nase zu drücken. Ihr Magen rebellierte jetzt gegen die Sahnetorte und die fette, cremige heiße Schokolade, die sie zur Vesper gehabt hatte.
    Ihre dünne, helle Stimme wurde von den Webern überhört, die im Flur dicht an dicht standen und es ihr schwer machten, in die Stube zu gelangen. Sie kämpfte gegen den Ekel an, sich eng an die schmutzigen, riechenden Menschen schmiegen zu müssen, und so tippte sie mit der behandschuhten Rechten auf die Schulter des ihr am nächsten stehenden Mannes, woraufhin man ihr eine Gasse bis zu dem Schemel frei machte, auf dem die Witwe Wanger saß.
    Wenn Luisa das tränenüberströmte, unglückliche Gesicht einer verwitweten Weberin erwartet hatte, wurde sie enttäuscht. Aufrecht, mit blassem Antlitz und starren, klaren Augen saß die Frau auf dem Hocker. Die Hände lagen leer und kraftlos in ihrem Schoß. Das Treiben der vielen Menschen in ihrem Hause schien sie gar nicht wahrzunehmen und sie hob auch nicht den Blick, als Luisa vor ihr zu stehen kam.
    „Herzliches Beileid, Frau Wanger.“ Luisa räusperte sich, schaute verunsichert um sich, weil die gedämpften Unterhaltungen beinahe ganz verstummten. Alle wollten hören, was die Exporteurin zu sagen hatte. Aber Luisa sagte nichts mehr. Sie stand eine Weile ratlos vor der Trauernden, legte ihr Präsent auf den nächst stehenden Tisch, hörte das Flüstern der Weber und Weberinnen, das Scharren von runkelrübenartigem Schuhwerk auf abgescheuerten Dielen und das Schlurfen auf der Treppe – hinauf, hinab.
    Dann berührte Luisa die Weberin. Du holst die dir Krätze oder die Schwindsucht oder beides! Sie trotzte Vaters Stimme in ihrem Ohr, indem sie die Hände der Frau fest umfasste und sich obendrein vor sie hinhockte. Du wirst nicht zu einer Weberin hinaufschauen, Luisa! Niemals! – Verschwinde, Vater, Verschwinde aus meinem Kopf!
    „Es wird sich eine Lösung finden, Frau Wanger.“
    „Ich weiß aber nicht wie? Was soll denn jetzt werden, Fräulein Treuentzien?“

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