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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivonne Hübner
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Die Stimme der Weberin zitterte. „Der Emil im Januar und jetzt mein Albert.“ Die Frau taxierte Luisa.
    Und die war sich nicht sicher, ob sie im Blick der Weberin Anklage oder Verzweiflung las, aber eines war sicher: In den kühlen Augen der Frau sammelten sich jetzt Tränen, als habe sie sie eigens für den Besuch der Expediteurin aufgespart. „Neun Kinder.“ Die Wangerin zuckte mit den Achseln und ihre Augen, nicht ihr Kopf, nur ihre Augen huschten zum von Leinwand verhüllten Damastwebstuhl hinüber. Er stand in der gleichen Ecke wie jener im Hause der Familie Weber. „Morgen kommen sie und bauen den Zampelstuhl ab und dann ...“
    „Leinwand, ich weiß, Frau Wanger.“ Jetzt erst merkte Luisa, dass sie die klammen Hände der Weberin knetete. „Aber nur so lange, bis Ihr Ältester mit der Lehre fertig ist.“ Luisa erinnerte sich nicht an den Namen, das Alter, den Lehrmeister oder den Lehrgrad des jetzt ältesten Wanger-Sohnes, was sie ärgerte. Sie hätte sich besser auf diesen Besuch vorbereiten sollen. Zumindest war sie froh darüber zu wissen, dass die Wangern einen Damastweberlehrling im Hause hatte.
    Die Weberin, geschüttelt von einem Weinkrampf, womit Luisa zwar gerechnet hatte, den sie aber nicht umgehen konnte, neigte sich nach vorn. Mit der Stirn berührte sie leicht Luisas rechte Schulter. Ein merkwürdiges Gefühl, jemandes stärkende Schulter zu sein, überhaupt von jemandem berührt zu werden. Nicht einmal ihre Mutter umarmte sie bei gewissen Gelegenheiten, die Schwestern umarmten einander nur flüchtig, hauchten sich Luftküsse zu, weil das Mode war. Luisa erhob sich, zückte ein Schnupftuch aus ihrem Ridikül und reichte es der Wangerin.
    Die schniefte lauthals: „Wir haben seit einigen Monaten nicht einmal mehr den Zunftgroschen löhnen können wegen Alberts Medizin, den Rechnungen für Doktor Bender und dem neuen Kind.“ Die Wangern fasste sich und straffte stolz ihren Rücken. Da war keine Zeit, um ihren Verstorbenen zu betrauern. Sie hatte für die Lebenden zu sorgen.
    „Ich kümmere mich darum, Frau Wanger.“ Oh Gott, was tust du, Luisa! Was versprichst du! „Ihnen steht eine Zunftrente zu. „Ich werde mit Herrn Türpe sprechen, auch über den ausstehenden Zunftgroschen.“ Der Türpe! Wie konnte sie sich bloß mit ihm an einen Tisch wünschen! Sie hatte eigene Probleme!
    „Würden Sie das tatsächlich?“ In den Augen der Weberin flackerten ein Funke Hoffnung und frische Tränen.
    Luisa nickte nachdrücklich, drückte zum Abschied Frau Wangers Hände und wandte sich um. Ihr Blick haftete auf den Dielen, deren Farbe tiefrot wie Ochsenblut unter der abgescheuerten Maserung hervorblitzte. Wie hatte sie nur ein solches Versprechen abgeben können? Obermeister Türpe hatte mehr Einfluss auf den Zittauer Rat als ihr Vater und Liebig zusammen. Was konnte Luisa mit dem schon verhandeln? Der Türpe war wie ein Hund hinter den Geldern der Weber her!
    Ihr Herz war so schwer, so schwer. Und als sie sich der Haustür näherte, schlug ihr ein anderer Duft als süßlich riechender Mäusedreck entgegen, einer, der so ganz und gar nicht zu diesem traurigen Ort passte, ein feiner Duft von Myrrhe, Minze und Salbei, ein Duft, der ihr Herz schneller schlagen ließ. Aber sie getraute sich nicht, in Caspar Webers Augen zu schauen. Vorwürfe und Abneigung würden daraus sprechen. Das musste sie sich nicht antun. Heute nicht. Dabei hätte sie Wärme in seinen Augen erkannt, wenn sie hinaufgeschaut hätte.
     
    Am späteren Nachmittag stattete Luisa dem Krämer Jacobi einen Besuch ab. Er lud sie wie meistens auf ein paar selbst gemachte Butterpralinen mit Honig und Kakao ein, die Luisa direkt auf ihren Hüften Platz nehmen fühlte. Dazu reichte er Minztee aus eigenem Anbau und ließ sich zur Annahme einer silbernen, von Bernsteinen besetzten Schatulle überreden. Ein Geschenk von Matthias, dem Steinenarr.
    Luisa Treuentzien und ihr Vater begruben Emil Wangers Vater noch vor dem Frühstück. Aber anders als damals im Januar wollte Luisas Appetit den ganzen Tag lang nicht zurückkehren. An dem Tag hatte man sich des Anstandes halber nur kurz und im Hintergrund bei der Beerdigung blicken lassen. Heute war Luisa anders, verändert. Ehrlich traurig. Es war ihr nicht egal.
     

     
    Tage vergingen, aber Luisa Treuentzien hatte ihr Versprechen gehalten. Diese Tatsache verwunderte nicht nur Caspar. Er und all die anderen Weber waren es gewohnt, große Worte, auf die keine Taten folgten, von den Industriellen

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