Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
hatte eine sehr trockene Stimme. Aber wenigstens hatte er noch einen Rest davon. Knips: „Ich will die Maschinen nicht.“
Ihre Stimme war nur noch ein Hauchen. „Ich auch nicht. Gib uns noch ein, zwei Jahre.“
„Uns beiden?“ Knips.
Wangengrübchen. „Ich werde anders sein als die Verleger hier!“
Knips. Er fragte sich, wie lange Bettine, die Magd, jeden Morgen brauchte, um diese vielen Haken bei den vielen Treuentzien-Frauen zu schließen und am Abend wieder zu öffnen. Knips. Luisas milchig weiße Schultern, ihre glatten Schulterblätter und ihr schmaler Hals bewegten sich verhalten, während sie sprach, Caspar aber hörte schon gar nicht mehr zu. Er konnte nicht widerstehen. Vater, vergib mir! Mit dem rechten Zeigefinger strich er sacht ein paar lose, feuchte Haarsträhnen von ihren Schultern. Mit seiner Berührung verstummte Luisas visionäres Geschnatter. Sein rechter Zeigefinger wanderte von ihrem rechten zu ihrem linken Schulterblatt und wieder zurück bis zu den zarten Wölbungen ihrer Halswirbel. Er wusste nicht, ob sie ihrer nassen Kleider wegen schauderte oder wegen seiner Berührung. Darüber nachzudenken fehlte es ihm an Konzentrationsvermögen. Ihm war heiß und die Kälte, die der Oktober in Luisa gepflanzt hatte, zog ihn an. Er neigte sich zu ihr hinab und berührte ihren Nacken mit seinen Lippen. Er liebte sie, jetzt, in diesem Moment, da er die Zeit angehalten hatte. Alles Schlechte, das er jemals von ihr, ihrer Familie, ihrem Stand gedacht hatte, kehrte sich um. Er war ganz von ihr ausgefüllt. Da war kein Platz mehr für irgendetwas anderes. Seine Lippen wanderten zu ihrem Hals, zu ihrem weichen Ohr.
Luisa wandte sich um, schaute ihm zuerst in die Augen und lehnte schließlich ihren Kopf an seine Brust.
„Dein Herz schlägt so schnell“, hörte er sie murmeln. Ja, er war aufgeregt, er war außer sich und hatte keine Ahnung, ob das, was geschah, gut war oder nicht. Ja, es muss gut sein, sei kein Narr! Er hielt sie fest, spürte ihre Hände auf seinen Schultern, in seinem Nacken, in seinem Haar wie vorhin. Das musste einfach gut und richtig sein, oder? Er wusste nicht, wie lange ein Mann und eine Frau so eng und fest umschlungen dastehen konnten, ohne sich Schaden zuzufügen, aber eines war sicher: Er hatte noch nie zuvor eine Frau so lange und so fest im Arm gehalten. Nicht einmal Hermine, die immer zappelig und ungeduldig gewesen war – in allen Dingen. Aber Hermine war tot, war nicht zurückzukriegen, und Luisa war das Leben. Sie roch nach Leben, sie hörte sich nach Leben an und sie gab ihm das Gefühl, nur für ihn auf der Welt zu sein, damit sie ihn zurück zu den Lebenden bringen konnte. Es war nichts als ihr Herzschlag zu hören. Er spürte ihre Lippen an seinem Hals, ihre Hände in seinem Nacken.
Er löste ihre Hände und wich ein paar Schritte vor ihr zurück, dann drehte er sich zum Ofen neben der Tür um, damit sie sich umziehen konnte.
„Und du, was willst du?“ Ihre Stimme war ganz weich, leise und vertrauter als je zuvor. Das Geraschel und Geknister, das aus ihrer Richtung kam, bedeutete ihm, dass sie sich weiter auszog. An seinem rechten Arm spürte er etwas Nasses – es war ihr Kleid, das sie ihm in die Hand drückte und das er lieber nicht haben wollte. Er stülpte es über die Stühle, die er nebeneinander vor den Ofen gestellt hatte. Auf das Kleid folgte ein Unterrock, dann ein weiterer, Himmel, wie viele Röcke schleppte die Frau mit sich herum!?
„Wie viele Mädchen hast du schon dazu gebracht, sich in deinem Haus zu entkleiden?“ Er verlor den Kampf gegen ein verschmitztes Lächeln, das ihm über das Gesicht huschte. Er sah Luisa im braunen Leinenkleid seiner Schwester auf dem Bett sitzen. Dieser Anblick ernüchterte ihn. Er war nun ganz ruhig. Sein Kopf war wieder gut durchblutet, alles war gut. „Dachtest du, ich zerfalle zu Staub, wenn ich das anziehe?“
Er stutzte. Bisher hatte nur sein Vater seine Gedanken lesen können.
Sie lächelte und klopfte mit der flachen Hand neben sich auf Elsbeths Bett. Als er saß, schauten sie ihn versonnen und ein wenig unentschlossen an. Was erwartete sie von ihm? Kribbeln im Bauch, trockene Lippen, genau wie damals, kurz vor seinem ersten Kuss. Da war er so alt gewesen wie Balthasar jetzt. Luisa hielt seinem forschenden Blick stand, auch dann, als sein Gesicht dem ihren nahe kam. Er stellte mit sich selbst Wetten an, schätzte, dass sie zurückweichen würde. Aber sie tat es nicht. Zwei Finger breit vor ihrem
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