Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
küsste und ihr ganz schwindelig wurde. „Schafft ihr das noch?“
Sie wollte eigentlich nicht über das Geschäft sprechen und schmiegte sich an ihn.
Ein Pfiff, ein Ruf. Meister Webers Stimme hinter dem Holzlabyrinth.
Luisa machte sich von Caspar los und ordnete ihre Kleider.
„Du willst wissen, wie das geht?“
„Was?“ Sie begriff nicht gleich, was er meinte.
„Komm morgen früh her.“ Er hauchte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und verschwand hinter dem Holz. Luisa ruckte an Flecks Leine und machte sich auf den Heimweg. Überglücklich. Alles war gut und die Zukunft mit ihm würde wunderbar werden.
Es war gar nicht leicht, seine Familie davon zu überzeugen, dass er mit dem Keubler-Tuch in aller Seelenruhe anfangen wollte. Er hatte das mit Balthasar abgesprochen und der spielte mit. Und irgendwann waren seine Leute aus dem Haus.
Caspar hätte Luisa, als sie endlich da war, am liebsten in den Arm genommen und sie statt in die Stube in seine Kammer geführt.
„Komm her, setz dich hier hin.“ Er nahm Luisas Hand, als wollte er sie auf das Tanzparkett führen. Umständlich hob sie ihre vielen Unterröcke über die Webbank. Caspar sah Balthasar grinsen. Und schließlich saß Luisa mit ihren Röcken in der Webbank.
„Also, Balthasar, los geht’s.“
Sein Bruder nahm den Zugstock und zog an der Zugschnur des ersten Latzes. Es war immer ein erhebendes Gefühl, nach Monaten des Mustereinlesens und Fädenbündelns das Rauschen der Umlenkrollen hoch über dem Webrahmen zu hören. Das war, als wenn eine Dampfmaschine sacht anschob und mit dem ersten schweren Seufzen einsetzen wollte. Nur dass dem ersten Seufzen eben kein heftiges Schnaufen, sondern das engelsgleiche Klimpern der Lätzegewichte unter dem Webstuhl folgte. Immer dann, wenn er nach Monaten wieder dieses Geräusch hörte, war Caspar eigenartig stolz und hatte das Gefühl, etwas Besonderes zu tun, einen einzigartigen Beruf zu haben. So einzigartig, dass man ihn in seinem Dorf einsperrte aus Angst, er könnte mit seiner Einzigartigkeit das Weite suchen. Caspar seufzte, dann tippte er Luisa sacht auf die Schulter. „Jetzt trittst du das erste Pedal herunter.“
„Wie bitte? Ich? Oh nein!“
Als sie versuchen wollte, von der Webbank aufzustehen, drückte er sie wieder herunter.
„Bitte, Caspar!“
„Danke, Luisa.“ Wollte sie das nun lernen oder nicht? „Kräftig!“
Als sie ihren Kopf senkte und den Hals beugte, um nach den Pedalen unter dem Webstuhl zu sehen, konnte er einen Blick auf ihren verführerischen Nacken werfen. Tja, welchen der acht Tritte unterhalb der dreitausendsechshundert Kettfäden sollte sie wählen? Er lächelte. „Ganz links, dann geht oben der erste Schaft runter, der zweite hoch.“
Er sah, wie sie mit aller Kraft das Pedal, das sein Vater wirklich sehr straff gebunden hatte, herunterdrückte.
„Fester.“
„Das geht nicht.“
„Doch.“
Sie drückte, bis sie ein rotes Gesicht bekam, und auf dem Webbett bewegten sich die Schäfte mit den eingefädelten Fäden. „Wie Theaterleinwände. Wenn die Akte wechseln, geht ein Bühnenbild hoch, das andere runter.“
„Keine Ahnung, ich war nie im Theater ... Balthasar, straffer ziehen!“
Balthasar zog die Musterfäden noch etwas weiter hoch. Caspar griff nach der Schussvorrichtung, die so nah, so schmerzlich nah vor Luisas Brust lag. Mit einer gekonnten Bewegung aus dem Handgelenk schleuderte er den Schussschützen durch das Fach. Krachend kam das Weberschiffchen auf der anderen Seite des Webrahmens zum Liegen. „Und jetzt ziehst du das Blatt ran, so kräftig du kannst.“
Er legte Luisas Hände auf die Weblade und faltete ihre zarten Finger um den Holm, was ihm in Balthasars Gegenwart beinahe anstößig vorkam. Dann sah er zu, wie Luisa ganz vorsichtig und bedacht den Querbalken zu ihrer Brust zog.
„Gut, aber so werden wir bis Weihnachten leider nicht fertig, Luisa, du musst schon ordentlich arbeiten!“ Damit legte er seine Hände auf Luisas Handrücken und zerrte das Holz an den Brustbaum, sodass Luisa leise aufkeuchte. Sie war erschrocken über sich selbst und schaute am Webrahmen hinauf in die Verstrebungen. „Kracht der auch nicht zusammen?“
Caspar lächelte. Sie war so süß und naiv. „Nein.“ Er setzte sich neben sie in die Webbank.
„Zwei Fadenkreuze halten die Zampelfäden straff, so kann sich der Musterleser besser orientieren und verzählt sich nicht.“ Caspar hielt inne, blickte auf das Zieherpodest hinüber und
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