Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Mantel und verschwand aus der Stube. Ihr erster Streit. Ihre Schuld, sein Stolz. Sie hasste sich.
Schon am nächsten Tag ergriff sie die Gelegenheit, mit Matthias Kollmar zu sprechen. Sie war nervös und brauchte wie so oft eine Ausrede, um der Anprobe aus dem Wege zu gehen.
Sie standen im Kontor wie zurückgelassene Schachfiguren nach einem harten Spiel: Sie, die matt geschlagene Königin, und Matthias Kollmar, der letzte Turm. Sie hatte es ihm gesagt. Sorgsam zurechtgelegte Worte wie Kleider für einen Ball und die Erkenntnis, dass die Garderobe nicht zum Anlass passte. Jetzt standen sie also im Kontor und ließen ihren Vortrag nachwirken. Matthias entgegnete nichts, verteidigte nicht seine gebrochene Ehre als verschmähter Mann. In seinen Augen lagen weder Wut noch Zorn, nicht einmal Enttäuschung, schon gar nicht Trauer, sondern Erleichterung.
„Wir beide stehen besser da“, sagte Luisa, „wenn wir dies als deinen Entschluss und nicht meinen bekannt geben.“
Matthias war einverstanden. Natürlich, ein Mann, der eine Verlobung löste, wurde als ehrenvoll gehandelt. Tat es eine Frau, galt sie als schändlich. Eine Wiederverlobung wäre in letzterem Fall für beide schwierig, wenn nicht gar ausgeschlossen. Beide gönnten einander noch ein paar Augenblicke der Ruhe, dann reichte er ihr die Hand und löste sich in aller Form von ihr.
In Anbetracht ihrer Absprache war es seine Aufgabe, die Familien von der Auflösung ihres Gelöbnisses zu unterrichten. Luisa hatte sich in die Rolle der Verschmähten zu fügen und in ihrem Zimmer zu warten, bis die Gäste das Haus verlassen haben würden. Das Haus war mit einem Male umhüllt von Verlegenheit wie ein zu dick eingewickeltes Geschenk.
Am Abend erst, lange nachdem die Familie Kollmar gegangen war, lange nachdem ihre Mutter schluchzend an Luisas Tür geklopft hatte und doch nicht eingelassen worden war, lange nachdem Josephine und Ludovike sich mit unverhohlener Neugier in ihre Betten gelegt hatten, begab sich Luisa ins Kontor, wo ihr Vater wie eine Ahnenstele saß. Sie musste das alles durchstehen und war in Gedanken immer bei Caspar. Es war gut, wie es war, wenn auch einige schwere Wochen auf ihre Familie zukamen.
Die dunkelgrüne Arbeitsfläche seines Schreibpultes war aufgeräumt und staubfrei. Vater starrte auf die kalte Pfeife in seiner Hand. Den Tabaksbeutel hielt er in der anderen Hand. „Da hat er dir übel mitgespielt, nicht wahr?“
Luisas Kehle war wieder einmal wie ausgedörrt. Sie hatte nicht vor, ihre Meinung beizusteuern. Ihre Aufgabe war es, den Skandal auszusitzen. Ihre Eltern waren diejenigen, die leiden würden, die zumindest so lange das Dorfgespräch waren, bis Luisa einen anderen heiraten oder man sich an ihre altjüngferliche Eigenbrötelei gewöhnt haben würde.
Ihr Vater streckte den rechten Arm nach ihr aus.
Luisa schritt zu ihm und ließ sich die Hände tätscheln. „Der hat dir übel mitgespielt“, wiederholte Vater gedankenverloren, seufzte und stopfte sich seine Pfeife, zu der Luisa ihm das Zündholz reichte. Erst nachdem die Pfeife ordentlich zog, sagte er: „Der Name der Frau, die er dir vorzieht, ist Boyen.“
Luisa zuckte zusammen. Ihre Regung war vor ihrem Vater nicht verborgen geblieben. Er ließ seine Pfeife im Mundwinkel hängen und tätschelte wieder ihre Hand. „Eine gute Partie, eine gute Dresdner Familie, mit der sich der alte Kollmar schnell über uns hinweggetröstet haben wird.“
Luisa setzte sich auf den nächstbesten Schemel. Für Eifersucht war es zu spät. Aber ihre Gekränktheit war berechtigt. Zudem war ihr Stolz angekratzt und sie war auf seltsame Weise gerührt, denn Matthias Kollmar hatte vorgehabt, die Frau, der er aufrichtig zugetan war, einem väterlichen Versprechen zufolge zu entbehren.
Vater starrte durch die Rauchschwaden, die er ausstieß: „Er wird sie noch in diesem Jahr heiraten und mit ihr dorthin gehen, wohin er dich nicht hätte mitnehmen wollen.“
Luisa hob die Hand und zum ersten Mal in ihrem Leben gehorchte ihr Vater diesem gebieterischen Wink. Er schwieg. Sie vergrub ihr Gesicht hinter ihren Händen, als könne sie so all die Worte, die an diesem Tag gefallen waren, aus ihrem Kopf herausziehen. Sie spürte die flache Hand ihres Vaters, die schwer und erschöpft auf ihrem Hinterkopf ruhte, als erteilte er ihr Absolution. „Luisa. Jetzt hast du Gewissheit. Stell dir vor, du hättest so eine Ehe führen müssen.“ Ihr kehliger Laut unterbrach ihn nicht. „Es wird sich ein
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