Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
Vom Netzwerk:
letzten Willen hinterlassen, aber es war mir nicht zugesandt worden. Ich habe es immer noch. Ein goldenes Artischockenblatt, das ihr dieser korrupte französische König François der Erste geschenkt hatte. Nach dem Tod ihres ersten Gemahls, Louis von Frankreich, hatte er Ränke geschmiedet, um sie mit Charles Brandon zu verheiraten.«
    Meine Knie drohten, unter mir nachzugeben.
    Mary indes lächelte versonnen. »Dieses Schmuckstück bedeutete ihr sehr viel; es war fast alles, was ihr noch geblieben war, als ihr endlich die Rückkehr nach England gestattet wurde. Am Ende ging alles gut aus, aber eine Zeit lang drohte mein Vater ihr, sie und Brandon wegen Eigenmächtigkeit im Tower einzukerkern. Er verhängte jedenfalls eine hohe Geldstrafe, die sie nie ganz abzahlen konnten, obwohl Mary ihren ganzen Schmuck verpfändete. Nur dieses eine Stück behielt sie. Einmal vertraute sie mir an, dass diese Artischocke das Gute und das Schlechte in ihrem Leben repräsentierte, das Leid und die Freude. Von ihm wollte sie sich unter keinen Umständen trennen.« Unvermittelt beugte sich Mary vor. »Master Beecham, ist Euch nicht wohl? Ihr seid so blass geworden.«
    »Ich … bin müde, das ist alles«, brachte ich hervor. »Danke, dass Ihr mir Eure Zeit gewidmet habt. Ich kann Eurer Majestät gar nicht sagen, wie viel mir das bedeutet hat.«
    »Ach, das habe ich mit Freuden getan. Es ist viel zu lange her, seit ich zuletzt an meine verstorbene Tante gedacht habe. Vielleicht zieht Ihr eines Tages in Erwägung, eine Familienchronik für mich zu erstellen. Ich würde Euch sehr gerne damit betrauen.« Sie drohte mir schelmisch mit dem Finger. »Ich wage zu behaupten, dass Euch das von weniger ehrenwerten Einkommensquellen fernhalten würde.«
    »Es wäre mir eine Ehre.« Froh über das matte Licht, zwang ich mich zu einem Lächeln. »Aber jetzt würde ich mich mit der gnädigen Erlaubnis Eurer Majestät gerne zurückziehen.«
    »Selbstverständlich.« Sie streckte mir die Hand entgegen. Als ich mich tief darüberbeugte, murmelte sie: »Ich glaube, ich schulde Euren gegenwärtigen Dienstherren eine Antwort. Kommt morgen wieder, dann werden wir sehen, ob ich eine bewerkstelligen kann.«
    »Eure Majestät.« Ich küsste ihre trockenen, mit Juwelen geschmückten Finger.
    Rochester führte mich zu einem Nebengebäude. In dem viereckigen Innenhof befand sich ein Trog, in dem ich mich waschen konnte, und im oberen Stockwerk wurde mir eine Kammer zugewiesen, wo ich alles Nötige vorfand. Ich zog mich bis auf die Kniehose aus und wusch mich in dem Wasser, wobei ich sorgsam darauf achtete, dass mir das Beinkleid nicht herunterrutschte. Dann ging ich nach oben und schloss die Tür hinter mir.
    Auf dem Tisch wartete eine kalte Mahlzeit auf mich. Eigentlich hatte ich keinen Appetit und fragte mich, ob ich jemals wieder etwas essen würde. Doch dann band ich mein nasses Haar zu einem Pferdeschwanz und aß den Teller leer. Die Bedürfnisse des Körpers nehmen selten auf die Verzweiflung des Herzens Rücksicht.
    Nachdem ich gegessen hatte, setzte ich mich auf die Kante der mit Stroh gefüllten Pritsche und zog erneut das Schmuckstück aus der Tasche. Es glänzte wie ein Stern. Ich strich mit den Fingerspitzen über eine der von Meisterhand geformten Adern, als gehörte sie zu einem lebenden Wesen. Inzwischen wusste ich, dass es weit gereist war, von Frankreich über den Ärmelkanal bis hierher. Es blickte auf ein ganzes Leben zurück, in dem es geliebt worden war. Ich blickte auf meine Lendengegend, wo unter den Kleidern das Geburtsmal meiner Mutter prangte.
    Die Einzigen, die davon gewusst haben dürften, sind diejenigen, die mit der verstorbenen Herzogin eng vertraut waren …
    Charles von Suffolks Haushofmeister … ein strammer Mann …
    Ich schloss die Augen. Ich musste mich ausruhen. Behutsam schob ich das Kleinod in die Umhängetasche und schlüpfte unter die grobe Bettdecke.
    Während ich einschlief, dachte ich noch, dass Kate genauso überrascht sein würde wie ich, wenn sie erfuhr, dass es sich bei dem Schmuckstück nicht um eine Blüte handelte, sondern um ein Blatt.

26
    Ich träumte von Engeln. Zum Echo eines brausenden Chors schlug ich die Augen auf und fand den Raum in Licht getaucht. Durch das offene Fenster flackerte ein Feuerschein. Ich setzte mich auf. Der Gesang erklang von draußen. Dann bemerkte ich eine Gestalt bei mir im Zimmer.
    »Barnaby? Bist du das?«
    »Ja. Hoffentlich störe ich dich nicht. Ich bin vorhin reingekommen.«

Weitere Kostenlose Bücher