Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
denn sonst das Angebot ausgeschlagen, hier im Palast zu wohnen?«
Also hatte Robert recht gehabt! Der Herzog wusste, dass sie kommen wollte. Er hatte ihr sogar Logis angeboten. Warum nur machte er seinem eigenen Sohn etwas vor?
Elizabeth blieb stehen. »Nicht, dass ich Euch eine Erklärung schulde, aber ich habe ›das Angebot ausgeschlagen‹, wie Ihr es zu formulieren beliebt, weil sich schon zu viele Leute am Hof befinden und ich es mir bei meiner zarten Gesundheit nicht leisten kann, mich mit irgendeiner Krankheit anzustecken.« Sie hob abwehrend die Hand. »Und ich werde mich nicht umstimmen lassen. Ich habe lange genug gewartet. Ich will heute Abend meinen Bruder sehen. Keiner, nicht einmal der Herzog von Northumberland, kann mir das verwehren.«
Cecils widerstrebendes Kopfnicken zeigte, dass er sich geschlagen gab. »Lasst Euch doch wenigstens von Master Walsingham begleiten. Er ist gut geschult und wird Euch zu schützen wissen, falls …«
»Ich denke nicht daran! Ich brauche keinen Walsingham und auch sonst niemanden. Bin ich denn nicht die Schwester des Königs? Was habe ich von seiner Hofgesellschaft zu befürchten?« Ohne auf Antwort zu warten, setzte sie ihren Weg zum Palast fort, den Hund in vollkommenem Gleichschritt an ihrer Seite. Doch plötzlich blieb er stehen, wandte den Kopf zur Hecke und knurrte. Ich erstarrte; er hatte mich gewittert. Sie zog an der Leine. Der Hund rührte sich nicht, knurrte nur noch drohender.
»Wer da?«, hörte ich sie fragen und wusste, dass ich nun keine Wahl mehr hatte.
Unter dem wilden Gebell des Hundes schlüpfte ich durch eine Lücke in der Hecke, riss mir die Mütze vom Kopf und sank auf die Knie. Das Mondlicht schien mir hell ins Gesicht. Elizabeth starrte mich reglos an, während der Hund mit gebleckten Zähnen geiferte. Cecil schnippte mit den Fingern. Die Wärter stürzten sich auf mich und zogen blank. Innerhalb einer Sekunde war ich von Klingen umgeben. Wenn ich auch nur einen Finger rührte, würden sie mich aufspießen.
Der Hund zerrte aus Leibeskräften an der Leine. »Ruhig, Urian.« Seine Herrin tätschelte ihm den schmalen Kopf. »Sei still.« Der Hund ließ sich gehorsam auf die Hinterhand nieder, während seine grünlichen Augen mich unentwegt fixierten.
»Ich glaube, ich kenne diesen Jüngling, Eure Hoheit«, sagte Cecil. »Ich versichere Euch, er ist harmlos.«
Sie hob eine ihrer dünnen, rotgoldenen Brauen. »Zweifellos, zumal er offenbar glaubt, sich ausgerechnet in einer Hecke vor uns verbergen zu können. Wer ist er?«
»Robert Dudleys Junker.«
Ich sah gerade rechtzeitig auf, um den Blick aufzufangen, den Cecil in meine Richtung warf. Ich konnte nicht erkennen, ob er amüsiert war oder verärgert.
Die Prinzessin winkte die Wärter beiseite. Ich verharrte auf einem Knie.
Es gibt Momente, die über unsere ganze Existenz entscheiden, Momente, die zu Angelpunkten unseres Lebens werden, wenn wir sie denn als solche erkennen. Wie Perlen an einer Schnur werden sich solche Momente mit der Zeit zur Essenz unseres Daseins aneinanderreihen und uns Trost spenden, wenn unser Ende naht.
Für mich war die Begegnung mit Elizabeth Tudor einer dieser Momente.
Das Erste, was mir auffiel: Schön war sie nicht. Ihr Kinn war zu spitz für das Oval ihres Gesichts, ihre lange, schmale Nase hob die hohen Wangenknochen und die stolze Stirn hervor. Ihr Mund war ein wenig zu breit und die Lippen zu dünn, als fände sie Vergnügen daran, Geheimnisse zu bewahren. Und sie war zu blass und ätherisch, wie ein Fabelwesen von ungewissem Geschlecht.
Dann begegnete ich ihrem Blick. Ihre Augen waren unergründlich; übergroße Pupillen verschlangen fast die goldene Iris wie verdunkelte Zwillingssonnen. Augen wie die ihren hatte ich vor Jahren einmal gesehen, als ein Wanderzirkus uns auf Dudley Castle unterhielt. Auch damals war ich fasziniert gewesen von ihrer schwelenden Kraft.
Sie hatte die Augen einer Löwin.
»Lord Roberts Junker?«, murmelte sie, an Cecil gewandt. »Wie kann das sein? Ich habe ihn noch nie gesehen.«
»Ich bin neu am Hof, Eure Hoheit«, antwortete ich. »Euer Hund ist aus dem Ausland, nicht wahr?«
Sie blitzte mich an; sie hatte mir nicht erlaubt zu sprechen. »Er ist aus Italien. Ihr kennt die Rasse?«
»Während meiner Zeit in den Stallungen der Dudleys hatte ich Gelegenheit, so manches zu lernen.«
»Ach ja?« Sie legte den Kopf schräg. »Streckt einmal die Hand aus.«
Zögernd tat ich, wie mir geheißen. Sie ließ die Leine locker.
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