Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas. »Ihre hanebüchene Hypothese über Bibos Abenteuer in meinem Keller enthält nur solange einen Funken an Glaubwürdigkeit, solange Sie die Sache mit der Klingel außer acht lassen. Ich war oben in meinem Büro, er hätte einfach klingeln können. Daran gibt es nichts zu deuteln. Außerdem: Was ist dann im Keller oder im Garten mit ihm passiert? Hat er dort einen Hirnschlag erlitten? Und wo ist die Leuchte?«
Das mit der Leuchte sagte er nicht ohne eine gewisse Schadenfreude. Er hatte nämlich Ida nach Anton Wachs' erstem Besuch, wo das Ding noch mitten auf dem Rasen alle Blicke auf sich gelenkt hatte, angewiesen, es schnellstens verschwinden zu lassen. Noch am Nachmittag hatte sie das gute Stück in seine Einzelteile zerlegt und dann in die Mülltonne geworfen. Sie dürfte also längst auf der Deponie ruhen.
»Ja, die Leuchte«, sagte Junior nachdenklich und zog heftig an seiner Zigarette. »Sie ist irgendwie gefunden worden.«
Ali wurde jäh von den zwei ächzenden Kellnern abgelenkt, die mit Hardy in ihrer Mitte in die Küche gestolpert kamen. Jeder hatte sich einen Arm des leblosen Säufers um den Hals gelegt, und so schleiften sie ihn ins Haus. Es war an ihren verkniffenen Gesichtern abzulesen, daß sie ihre Last verfluchten. Hardys Kopf baumelte wie eine überreife Frucht auf seinen Brustkorb, seine geschwollenen Augenlider waren geschlossen, die Füße verhakten und stießen sich an jedem Tisch- und Stuhlbein, doch der schlaff herabhängende Körper schien die Stöße gar nicht zu registrieren. Hardy ähnelte mit seinem schwarzen Cordstofflook und seinen über die Schulter der mißgelaunten Kellner ausgebreiteten Armen einem sardonischen Engel. Ein ausgeschlagener einzelner Zahn, an der Wurzel blutig, fiel ausgerechnet in jenem Moment aus seinem Mund auf den Boden, als Kreuzer jr. sich der merkwürdigen Prozession zuwandte, und blieb dort wie ein weiteres Beweisstück liegen.
»Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden«, sagte Ali, weil es erstens der Wahrheit entsprach und zweitens der Ablenkung dienen sollte.
»Die Leuchte ist in einem gewissen Sinne gefunden worden«, entgegnete Junior.
Ali wägte kurz ab, ob er sich erneut für panikartige Atembeschwerden oder doch lieber für ein gemütliches Abgleiten in den Wahnsinn entscheiden sollte.
»In einem gewissen Sinne?« wiederholte er, während er dem auf- und abschwingenden Hintern Hardys hinterher schaute, der in dem engen Durchgang zum Berliner Zimmer verschwand. »Können Sie das vielleicht so erklären, daß auch ich es verstehe?«
Man sah es Junior an, daß ihm nun ziemlich unbehaglich zumute wurde. Er kratzte sich nervös die stoppeligen Wangen und verstärkte die Inhalierfrequenz an der Zigarette.
»Also, dieser Ricardo, der hat einen bösen Kicker auf Sie … «
»Ricardo? Wer ist denn das schon wieder?«
»Ricardo ist der junge Mann, der ein bißchen zu viele Quentin-Tarantino-Filme gesehen hat - und der nach Bibos Verschwinden bei Ihnen angeklopft hat. Ich habe ihm das auszureden versucht, habe ihm versichert, daß wir uns schon um die Sache kümmern würden. Aber Sie können sich wohl selbst vorstellen, aus was für einem Holz diese Kerle geschnitzt sind. Jedenfalls hat dieser Verrückte Sie, ich meine, Ihr Haus, eine Weile, wie soll ich mich da ausdrücken, ausspioniert.«
»Wie bitte?«
Ali fiel bei dem Gedanken ein Stein vom Herzen, daß er und Ida nach Bibo niemanden mehr umgebracht hatten. So komisch das auch klang.
»Unter anderem hat er auch Ihre Mülltonne vor dem Haus durchwühlt. Und dabei eine alte Leuchte darin gefunden. Allerdings ziemlich demoliert.«
»Ist so etwas überhaupt erlaubt?« wollte Ali wissen, ganz der clevere, mit der Rechtsbelehrung des Fernsehens aufgewachsene kritische Bürger.
»Nein, ist es nicht«, gestand Junior und grinste. »Und um Ihnen ein noch besseres Argument zu Ihrer Verteidigung zu liefern: Er wußte selbst nicht mehr so genau, ob es sich um die besagte Leuchte handelt, so sehr war das Ding in seine Einzelteile zerlegt.«
Ali grinste befreit zurück.
»Was glauben Sie, was ich und meine Frau nach dem Umzug alles wegschmeißen mußten, Herr Kreuzer. Wissen Sie, wenn man wie wir aus bescheidenen Verhältnissen kommt und dann in ein solches Schloß umzieht, da glaubt man zuerst, daß das alte Leben irgendwie unverändert weitergehen würde, nur eben in größerem Maßstab. Doch das ist ein Trugschluß. Alles ändert sich! Und viele alte
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