Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
sie. Ich wurde regelmäßig abgeholt, um mein gesamtes Vermögen Stück für Stück an sie zu überschreiben. Die Firmen, die Häuser, Aktien, Bargeld, Gold, Schmuck, alles weg! Einen Tag, nachdem ihr ausgezogen seid, bin ich aus meinem Haus ausgezogen, Ali. Im Gegensatz zu euch allerdings mit einer Bauruine im Süden und fünfzig Millionen Dollar Schulden im Schlepptau.«
»Sind die Sicherheitsvorkehrungen und die Waffen wegen der Russen?« wollte Ali wissen.
Wachs lachte.
»Warum spielst du immer noch den Dummen, Alfred Seichtem? Ist es denn so schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen? Bist du so verängstigt, daß du einfach nicht hören willst, daß es etwas kostet, wenn man dem Schicksal ins Handwerk pfuscht, und zwar einen grausamen Preis? Es gibt keine Russen! Ich bin nicht pleite und bis über die Kiemen verschuldet! Nein, wie ich schon sagte, ich bin Anton Wachs, ein erfolgreicher Architekt im Jahre 1991. Und immens wohlhabend. Die Katastrophe wird erst in den kommenden Jahren eintreten. Das heißt, sie wird es nicht, weil ich die Zukunft kenne und mich im wahrsten Sinne des Wortes auf kein r ussisches Roulett e mehr einlassen werde.
Ich habe die Tür wahrscheinlich auf die gleiche Weise entdeckt wie du, doch wesentlich schneller. Nach dem Auszug streunte ich wie eine ausgesetzte Katze tagelang in dem Viertel herum, verzweifelt und kurz vor dem Selbstmord, aber im Unterschied zu einer wirklichen ausgesetzten Katze wußte ich, wo mein Heim lag, mein verlorenes Heim, mein verlorenes Leben. Und dann, eines Morgens, es war noch dunkel, da sah ich die Gasse, das magische Licht und die Tür. Nur langsam begriff ich das Wunder, das mir zuteil geworden war, und die Möglichkeiten, die mir damit offenstanden. Aber als ich mein zehn Jahre jüngeres Ich an der Haustür sah, wie er in seinem besten Cerruti-Anzug in seinen Bugatti stieg, in der bornierten Gewißheit, daß ihn nur ein Dritter Weltkrieg von seinen Schätzen und kostspieligen Spielzeugen trennen könnte, da kannte mein Haß auf diesen Mann keine Grenzen mehr. Er war ich, sicher, und doch war er so dumm, so verantwortungslos und so zum Erbrechen selbstgefällig.
Ich überfiel ihn noch in derselben Nacht, den selbstverliebten Eremiten, und tötete ihn. Aber ich gönnte ihm keinen leichten Tod. Nein, vorher ging ich noch mit ihm in den Keller und folterte ihn, ja, das tat ich, stundenlang, ich steckte ihm sogar ein glühendes Schüreisen in sein verdammtes Arschloch. Ich folterte ihn so lange, bis er wahnsinnig wurde und irre lachend ins Jenseits röchelte. Er liegt immer noch da unten - unter einem perfekt gegossenen Boden aus Beton.«
Von Alis Kinn tropften unablässig Schweißperlen und schlugen auf dem Bambustisch auf. Sein weißes Festhemd wies von den Achseln beginnend großflächige feuchte Stellen auf. Sein Haar hatte jegliche Fasson verloren und hing ihm in nassen Strähnen ins Gesicht. Er sah jetzt tatsächlich wie im Dschungel ausgesetzt aus. Er hatte vorher gedacht, daß seine eigene Geschichte das Äußerste an Schauerpotential besäße, war jedoch in der letzten halben Stunde eines Besseren belehrt worden. Er wußte nicht, was er sagen sollte, bis auf die eine Frage, die ihm auf den Nägeln brannte.
»Gibt es mehr von ... unserer Sorte?«
»Ja, Nachbar, viel mehr als du denkst«, sagte der Mann hinter der Pflanzenlücke. Er hatte einen komischen Akzent. Ali hörte, wie er aufstand, seinen Stuhl zur Seite rückte und dann mit langsamen Schritten um die Palmen herum auf ihn zu kam.
Vor ihm erschien eine Gestalt, die zu identifizieren ihm die Lichtverhältnisse erschwerten. Der Mann steckte in einem türkisblauen Rüschenhemd aus Seide, das matt schimmerte, und einer Seidenhose, die ebenfalls einem Theaterfundus entliehen zu sein schien. Seine blendend weißen Zähne bissen auf eine mit Schnörkeln versehene Zigarettenspitze. Die linke Seite seines Oberkörpers schmückte ein umgehängter schwarzer Holster, in dem ein riesiger Revolver steckte.
Ali kniff die Augen zusammen, um weitere Details zu erkennen. Es dauerte einige Zeit, doch als er das berühmtberüchtigte Menjoubärtchen ausmachte, gelang es ihm endlich, den Fremden in einer Schublade seines Personengedächtnisses unterzubringen: Es war Haschim!
»Und was hat dir so sehr das Herz gebrochen, daß du Lore von Mahlen umbringen mußtest, Haschim?« fragte Ali. »Hat sie die hübschen Seidenhöschen, die sie dir gekauft hat, wieder zurückverlangt und dir dann den Laufpaß
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