Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
Vom Netzwerk:
Ursache des hohen Blutzolls sind sogenannte Folgeerscheinungen. Unachtsamkeit, längst vergessene Kleinigkeiten beim Eintritt. Du hast es bei dem Zwischenfall mit diesem Spediteur am eigenen Leibe erfahren. Ja, Ali, wir haben es alle beobachtet in jener Nacht, durch den Türspalt und hinter zugezogenen Gardinen. Doch keine Sorge, das passiert öfter hier, das ist normal - falls das Wort normal auf unsere Situation überhaupt zutrifft.«
    »Aber die Tür«, sagte Ali gedankenvoll, und dabei fühlte er sich weit, weit weg, besser gesagt, er wünschte sich, daß er weit fort wäre. »Die Tür, warum ist sie da, was steckt dahinter, Gott, ein Zauber?«
    Wachs verzog ärgerlich das Gesicht und bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. Wenn Ali ihn beleidigt hätte, hätte er nicht erboster reagieren können.
    »Ich weiß es nicht, niemand weiß es! Sie ist nun mal da, einfach da, und wir haben uns für sie entschieden! Basta! Hör auf, darüber nachzudenken, keine Ursachenforschung, verstanden! Je mehr du grübelst, um so schneller wirst du den Verstand verlieren. Es gab solche Fälle von Wahnsinn, von Ausbruchsversuchen , von Leuten, die es nicht mehr aushielten und sich Fremden anvertrauen wollten. Wir mußten sie unauffällig beseitigen, weil die Gefahr zu groß war, daß irgendein Psychiater oder ein Polizist ihren Worten Glauben schenken könnte. Denn außerhalb der Straße geht alles seinen normalen Gang. Es ist eine ganz normale Welt da draußen mit einem Polizeiapparat und Gesetzen, die für jeden gelten. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn uns die anderen auf die Spur kämen. Für sie sind wir gewöhnliche Mörder, auch wenn wir genaugenommen ja › nur ‹ uns selbst getötet haben. Ach, noch etwas: Komm bloß nicht auf die Idee, von hier wegzuziehen. So etwas sehen wir nicht gerne. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft, für immer und ewig aneinandergekettet, ob es uns paßt oder nicht. Wir können es uns nicht leisten, uns gegenseitig aus den Augen zu verlieren. Jeder überwacht jeden in dieser Straße, das ist unser unerschütterliches Grundprinzip, und diejenigen, die mit Gedanken an eine wie auch immer geartete Flucht spielen, brauchen sich nur ihre eigenen Taten zu vergegenwärtigen, um zu ahnen, welche Strafe darauf steht. Wir alle sind bereit, vor unaussprechlichen Grausamkeiten im Nachbargarten die Augen zu verschließen. Weil wir aus leidvoller Erfahrung wissen, daß es bisweilen notwendig ist. Nur eins werden wir niemals, niemals zulassen: Verrat! Es würde das Dasein der ganzen Straße aufs Spiel setzen.«
    »Okay«, sagte Ali und warf Wachs ebenfalls einen erzürnten Blick zu. Das Entsetzen über das, was er hier gehört hatte, schlug allmählich in verzweifelte Wut um.
    »Dann beantworte mir endlich die eine Frage, wegen der wir uns bis in diese beschissene Sauna verkriechen mußten! Weshalb seid ihr alle bewaffnet? Angst vor einem Polizeirollkommando? Wollt ihr euch allen Ernstes den Weg freischießen, wenn die Bullen anrücken?«
    Wachs drehte sich weg und nuckelte wieder bedächtig an seiner Zigarre.
    »Nein, das ist nicht der Grund. Wir besitzen noch einen anderen wunden Punkt, eine offene Wunde, die sich, solange wir hier leben, nicht verschließen wird«, sagte er und begab sich langsam zu Haschim, der sich nach seinem gelassenen Ausdruck zu urteilen nicht viel aus diesen technischen Einzelheiten machte. Er zog gut gelaunt an seiner Zigarettenspitze und wippte bei übereinandergeschlagenen Beinen mit einem Fuß. W ahrscheinlich würde ich dieses falsche Paradies auch mit dem echten verwechseln, wenn ich gerade ein paar Jahre Knast hinter mir hätt e , schoß es Ali durch den Kopf.
    »Wenn wir durch die Tür gegangen sind, lassen wir auf der anderen Seite etwas von uns zurück«, fuhr Wachs fort. »Und wir bringen einiges durcheinander.«
    »Was willst du damit sagen? Was lassen wir dort zurück?«
    »Uns, Ali, uns selbst lassen wir in der richtigen Gegenwart zurück.«
    »Du meinst ...«
    »Ja, wenn wir in diese Welt treten, geht das Leben auf der anderen Seite ganz normal weiter, nichts verändert sich darin. Der Eintritt in die Vergangenheit bedeutet nicht, daß wir aus jener Welt einfach verschwinden. Nein, wir hinterlassen dort ebenfalls Kopien, ein drittes Ich, unser altes Ich, das ahnungslos weiter existiert und in seiner eigenen Hölle weiterschmort. Ich will es dir ganz genau erklären, Alfred Seichtem. Was für ein Jahr haben wir jetzt draußen, 2000, 2001? Nachdem du und

Weitere Kostenlose Bücher