Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
deine Frau die Tür passiert haben, ist im Jahre 2001 keine Lücke von zwei Menschen entstanden. Ihr seid als eure Doppelgänger in dieser Zeit immer noch vorhanden, bloß daß sie die Tür nicht entdeckt haben. Noch nicht! Und das ist der springende Punkt, denn irgendwann werden sie es tun, vielleicht schon heute nacht, vielleicht in zwei Wochen, in zwei Jahren, vielleicht sogar in zehn Jahren. Das ist unsere Erfahrung und unsere permanente Furcht. Sie werden irgendwann kommen, daran gibt es keinen Zweifel. Es handelt sich um einen Generationskonflikt, könnte man sagen. Und genauso wie du und Ida den jungen Ali und die junge Ida beiseite geschafft habt, werden eure zurückgebliebenen Ichs euch zu töten versuchen. Deshalb die Waffen und die Alarmanlagen und die gegenseitige Überwachung! Ali und Ida werden irgendwann kommen, verlaß dich drauf, Ali, und sie werden mit größerer Brutalität zuschlagen, als ihr es getan habt. Vielleicht bringen sie euch mitten auf der Straße um. Denn dieses Paar hat weniger Skrupel als ihr und weniger Hemmungen. Während nämlich eure Leidensphase von relativ kurzer Dauer war, mußten sie viele, viele Jahre lang das Verhängnis ihrer früheren Fehlentscheidungen erdulden. Sie sind erheblich verbitterter, kaputter, zorniger und für solche verlockenden Lösungen empfänglicher als ihr. Sie sind wahre Monster, und weil ein verpfuschtes Leben Menschen auch äußerlich entstellt, dürften sie einen ziemlich schrecklichen Anblick bieten. Und sie werden vor nichts zurückschrecken.«
»Sprichst du aus eigener Erfahrung?« wollte Ali wissen. In Anbetracht dieser Aussichten war in seine Gedanken schnell wieder Nüchternheit eingekehrt.
»Ja, ich bekam eines schönen Nachts Besuch. Er hatte keine Zähne mehr, nur noch Lumpen am Leib und stank nach Pisse. Ein zerzauster alter Irrer mit einem Hammer in der Hand.«
»Was hast du mit ihm gemacht?«
»Ich habe ihn erschossen und seine Leiche ebenfalls im Keller einbetoniert. Wird langsam eng da unten.«
»Wie geht ihr mit einer neuen Generation um, wenn es ihr gelingt, die hiesige zu vernichten und ihre Stelle einzunehmen?«
»Wir tun so, als wäre nichts geschehen, schauen weg, verlieren kein Wort darüber. Denn welche moralische Rechtfertigung besitzen wir, daß wir über Neuankömmlinge den Stab brechen könnten? Wir sind doch selbst alle Eindringlinge, Fremde und haben mit den gleichen barbarischen Mitteln wie sie um unseren Platz in der sogenannten guten alten Zeit gekämpft. Das Ganze ist ein ewiger Kreislauf, ein auf stetigem Verdrängen basierendes System. Wir können nur warnen, uns untereinander und diejenigen, die neu zu uns stoßen. Daß sie aufpassen müssen, daß sie sich bewaffnen und ihr Haus einbruchsicher ausstatten sollen. Haschim hat es schnell kapiert. Bei dir haben wir uns mit der unangenehmen Botschaft etwas Zeit gelassen, weil wir dachten, daß ein Künstler wohl etwas sensibel ist und mehr Zeit braucht, um die Wahrheit zu akzeptieren.«
Ali nahm die Waffe vom Tisch, klemmte sie in den Hosenbund und streifte das Hemd darüber. Dann ging er, ohne die beiden anderen weiter zu beachten, zur Glastür und öffnete sie. Schon halb draußen, doch die Klinke noch in der Hand, hielt er inne.
»Was ist, wenn ich die neue Generation erledigte, bevor sie mich erledigt? Wäre der Alptraum dann ausgestanden?«
»Nein«, sagte Anton Wachs hinter seinem Rücken, und seine Stimme klang ein bißchen schadenfroh. »Denn durch ihren Eintritt in unsere Welt hat sie in der alten ihrerseits Doppelgänger von sich erzeugt. Nach der Vernichtung der einen Generation käme die nächste. Irgendwann!«
20
H ardy Link aus dem Haus zu schaffen hätte sogar Herkules ins Schwitzen gebracht. Zwar half Ali einer von den letzten verbliebenen Kellnern, und auch Ida unterstützte ihn, soweit es ging, doch einen 200-Pfünder vom Schlafzimmer durch die Gänge zu schleifen und dann die Wendeltreppe hinunterzubugsieren , verlangte allen Beteiligten das Höchstmaß an Kraftanstrengung ab. Als sie mit dem Schlafenden, dessen Kopf wie eine ausrangierte Abrißbirne schlaff herunterbaumelte, unten im Berliner Zimmer angelangt waren, schien der Hauptteil der Arbeit erledigt. Sie brauchten ihn nur noch vor die Tür zu schleppen und ins Auto zu verfrachten.
Es war inzwischen drei Uhr vorbei. Im Haus hielten sich nur noch ein kleiner Rest der Partyservicetruppe und ein paar von Idas betrunkenen Freunden auf, die sich durch keinen Wink mit dem Zaunpfahl
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