Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Augen und stürmte plötzlich wie aus einem Katapult abgeschossen auf den Messerschwinger zu. Der zuckte verblüfft zusammen und riß das Messer nach hinten, um mit Schwung zuzustoßen. Doch seine Reaktion kam Bruchteile einer Sekunde zu spät. Hardy prallte wie eine führerlose Lokomotive mit voller Wucht auf Ricardo, Messer und Ray-Ban-Brille flogen im hohen Bogen durch die Luft, und ineinandergekrallt fielen beide nach hinten um. Dabei entstand kurz ein hohles Geräusch, als versetze man einer leeren Pfanne einen Fausthieb. Danach kehrte gespenstische Stille ein, und weil Ali von seinem Standpunkt aus lediglich reglose Umrisse erkennen konnte und weil die Gefallenen selbst nach einer guten Weile immer noch keinen Mucks von sich gaben, wurde die Sache noch unheimlicher.
Ali lief zu ihnen und sah in dem düsteren Licht, daß Hardy wie ein sehr dominanter Liebhaber auf Ricardo lag. Dessen Kopf war ein wenig aufgerichtet, als würde er von einem Kissen gestützt.
»Mensch, für so eine Kinderkacke bin ich echt zu alt«, sagte Hardy schließlich und hustete erbärmlich. Dann rollte er unerträglich langsam von seinem Opfer herunter. Ricardo starrte mit offenen Augen zu den Sternen. Aus einem Mundwinkel rann ein Blutfaden zum Kinn herab. Ali sah jetzt, daß Ricardo mit dem Hinterkopf auf einen der Poller gestürzt war. Er bückte sich und hob den Kopf, so daß er die Aufschlagstelle untersuchen konnte. Es war dort eine richtige Delle entstanden. Ali fuhr mit den Fingern durch die von Blut matschig gewordenen Haare und ertastete, daß die Kopfhaut wie eine Membran nach innen nachgab. Der Schädelknochen war kaum zu erfühlen.
»Scheiße, Hardy, du hast den Kerl umgebracht!«
»Ach was, der steht gleich wieder auf«, sagte Hardy, an der ganzen Angelegenheit etwa so interessiert wie ein Narkotisierter.
»Nein, der steht nicht wieder auf, du Vollidiot, er ist tot, er ist auf diesen blöden Poller gefallen und ...«
Hardy die Sachlage zu erklären war etwa so sinnvoll, wie einem Schwachsinnigen den Dezimalbruch zu erklären. Das wurde Ali mit einem Mal bewußt. Er mußte überlegen. Überlegen und dann einen Plan fassen. Ricardos Tod mußte für die Nachwelt einen Sinn ergeben, vor allem für Kasimir Kreuzer jr. Einen Sinn, der Nahrung für neue Hypothesen bot. Jedenfalls mußte der Verdacht von seiner eigenen Person abgelenkt werden und sich immer mehr im Reich wilder Spekulationen verlieren. Und so schlimm die Situation auch war, so hatte sie doch einen recht erfreulichen Nebenaspekt: Er war einen weiteren Ballast losgeworden. Ricardo hatte schon genug Schaden angerichtet, und er war brandgefährlich gewesen, viel gefährlicher als Hardy, der Erpresser in der Tölpelversion. Auch ein gewichtiger Klotz am Bein, doch ein noch kalkulierbares Risiko. Wenn man vielleicht zwischen den beiden eine Beziehung ...
Ali fühlte, wie sich sein Puls immer weiter verlangsamte. Der dringend gesuchte Sinn schien jetzt in greifbarer Nähe. Hardy lag immer noch neben Ricardo, der mit aufgerissenen Augen fasziniert die Sterne betrachtete, und stammelte zusammenhangloses Zeug. Die Attacke schien ihm den Rest gegeben zu haben. Vermutlich würde er nicht mehr ins Wasser zurückzubewegen sein.
Da plötzlich kam Ali eine Idee, die ihm auf verdrehte Art nicht nur logisch erschien, sondern auch als der einzige Ausweg. Er hatte das sichere Gefühl, daß er jetzt so und nicht anders handeln mußte, obwohl er den Ausgang dieser Entscheidung überhaupt nicht abschätzen konnte. Er zog die Hemdschöße aus der Hose, ergriff damit den Revolver aus dem Hosenbund und entsicherte ihn. Er war selbst überrascht darüber, wie leicht und selbstverständlich ihm das vorkam. Dann trat er ein paar Schritte zurück, richtete die Waffe auf Ricardo und gab drei Schüsse auf seine Brust ab. Hardy, der neben dem Toten lag, schreckte zusammen, preßte beide Hände auf seine Ohren und krümmte sich.
»Ich dachte, der ist schon tot«, sagte er, als die Schießerei vorbei war und glotzte Ali verdattert an.
Ali ging nicht darauf ein. Es mußte jetzt alles sehr schnell gehen. Er nahm den Revolver und wischte ihn gründlich ab. Dann begab er sich zu Hardy, kniete sich hinter ihm hin und richtete ihn am Oberkörper etwas auf. Er drückte die Waffe durch den Stoff des Hemdes in Hardys rechte Hand, klemmte auf die gleiche vorsichtige Weise seinen Zeigefinger an den Abzug und hob mit der anderen Hand seinen Arm hoch. Hardy zielte mit der Waffe nun auf seinen eigenen
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