Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Ochsenschädel.
»Und was kommt jetzt?« wollte Hardy wissen.
»Das Ende einer wunderbaren Freundschaft!« antwortete Ali und drückte mit den Zeigefinger des Freundes ab. Der Schuß verhallte zwischen den Mauern der Kairampe nur langsam, und als dann wieder die Stille zurückkam, hörte man nur noch das leise Sickern von Rinnsalen, das Blut zweier Männer in Richtung Fluß.
Unterwegs nach Hause wurde Ali von maßloser Traurigkeit überfallen. Sie fuhr in ihn hinein wie ein düsterer Geist und schnürte ihm das Herz zu. Er fing unwillkürlich an zu weinen. Die Tränen schossen ihm so stark in die Augen, daß ihm zeitweilig die Sicht auf den entgegenkommenden Verkehr genommen wurde. Aber er weinte weder über Hardy noch über Ricardo noch über die anderen armen Teufel, die er ins Jenseits befördert hatte. Er weinte nicht einmal über sich selbst, daß er in diese elende Lage geraten war, daß aus ihm inzwischen ein Killer geworden war, einfach Abschaum. Nein, er weinte über Patrick, seinen lieben Jungen, seinen Sohn. Wenn er am Leben geblieben wäre, wäre er heute fast sieben Jahre alt geworden. Er wäre schon in die Schule gegangen, hätte zu lesen und zu schreiben begonnen, hätte Hobbys gehabt und gewisse charakterliche Eigenschaften, die ihn von allen anderen Menschen unterschieden, ihn einzigartig machten. Sie beide hätten sich richtig unterhalten können, über alles mögliche , aber auch über ernsthafte Dinge. Über seine Traumberufe, über seine Freunde, über seine Triumphe und Niederlagen, über seine Welt. Vielleicht hätte er irgendwelche Wichtigtuer aus dem Fernseher imitiert, bestimmt sogar, und er, Ali, hätte sich dann vor Lachen den Bauch halten müssen. Sie wären zusammen in den Urlaub gefahren oder zu Fußballspielen oder einfach auf den Mond. Er hätte vielleicht altkluge Sprüche abgesondert oder mit einer Gitarre seinen Popidolen nachgeeifert. Und vielleicht hätte ihn ein wunderhübsches Mädchen heimlich schon geküßt, weil er selbst auch so wunderhübsch, so wunderhübsch .. .
Der Wunsch, daß Patrick noch am Leben wäre, wurde in Ali übermächtig, drohte ihn in Stücke zu zerreißen. Er sehnte sich mit einem Mal so sehr nach seinem Sohn, daß er alles dafür gegeben hätte, ihn wieder zurückzuholen. Nicht nur Vermögen, Haus, Karriere, das gute Leben. Nein, er hätte dafür noch größere Opfer in Kauf genommen. Wenn er seinen Sohn noch einmal hätte sehen können, wäre er sogar durch die Tür zurückgegangen, obwohl er wußte, daß dahinter der schrecklichste aller Schrecken auf ihn lauerte. Und wie er so schluchzte und jammerte und in Gedanken den allerhöchsten Preis für die Erfüllung des Wunsches abwägte, da beschlich ihn allmählich die Ahnung, daß dieser Wunsch tatsächlich in Erfüllung gehen würde.
21
D er Anruf kam am späten Nachmittag. Ali hatte ihn erwartet und von seinem Verlauf und Ausgang abhängig gemacht, was er Ida erzählen würde. Er hatte am Morgen nach dem Fest ihr gegenüber kein Wort über seine Erlebnisse in Wachs' Gewächshaus und später an der Kairampe verloren. Er hatte das Gefühl, daß er sie mit diesen Hiobsbotschaften auch gar nicht weiter behelligen mußte. Denn ihr in sich gekehrtes Verhalten verriet ihm, daß sie den heraufziehenden Sturm selbst bereits ahnte. Sie war, ohne zu frühstücken, nur mit einem Becher Kaffee in der Hand zu ihrer Gartenarbeit geeilt und hatte es seitdem vermieden, sich mit ihm zu unterhalten, trotz seiner Andeutungen am Abend zuvor.
Natürlich hatte er nicht gewußt, ob der Anruf tatsächlich kommen würde. Statt dessen hätte er auch gleich einen Besuch erhalten können, einen Besuch, der ihn abholte. Doch eine innere Stimme hatte ihm verraten, daß der Tanz mit einem Anruf beginnen würde. Den ganzen Tag hatte er sich in sein Atelier verkrochen und so getan, als würde er an Skizzen für neue Gemälde arbeiten. In Wahrheit wußte er, daß es keine neuen Gemälde mehr geben würde. Nicht in diesem Haus.
»Ali, Telefon!« schallte Idas Stimme schließlich von unten.
Er stieg die Wendeltreppe herab und sah auf dem Mosaiktisch den Hörer, den Ida dort abgelegt hatte. Sie war wieder im Garten verschwunden, ohne auf ihn zu warten.
»Sensationelle Neuigkeiten, Herr Seichtem!« hörte er einen aufgeregten Kreuzer am anderen Ende der Leitung, als er den Hörer ans Ohr klemmte.
»Ach, Sie schon wieder«, sagte er gespielt genervt.
»Es tut mir leid, daß ich Sie wieder belästigen muß. Aber die Ereignisse
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