Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
abgefallenen Zweigen. Sie spürte seine Anwesenheit, als er bei ihr angekommen war, und schaute über ihre Schulter hinweg zu ihm auf. Dabei kniff sie die Augen zusammen, so daß ihr Gesicht sich in eine zerfurchte Landschaft verwandelte. Aber es war nicht allein der ungeschützte Blick in den hellen Himmel, der das verursachte, sondern auch die Ahnung über das, was nun bevorstand.
»Wir müssen reden«, sagte Ali.
»Ich wünschte, wir müßten es nicht«, entgegnete sie.
»Das wünschte ich auch«, sagte A li und senkte traurig den Kopf.
Er begann damit, was Anton Wachs über den endlosen Nachschub der Doppelgänger durch die Tür erzählt hatte. Solange sie hier lebten, würden sie dieser Gefahr ausgesetzt sein, machte er ihr klar, trotz des Schnickschnacks wie Alarmanlagen und Waffen. Dann beichtete er ihr von den Ereignissen der letzten Nacht, die zugegeben im Augenblick noch keine direkte Bedrohung für sie darstellten, wenn man bedachte, welche Schlüsse die Polizei vorläufig aus ihnen zog. Schließlich beschrieb er ihr Kasimir Kreuzer jr., einen Mann, den man nicht unterschätzen dürfe, gleichgültig, welchen krausen Hypothesen er momentan anhing.
Sie saßen beide auf einer funkelnagelneuen Gartenbank von Garpa, als er seine Ausführungen beendet hatte, sie mit einem kleinen Strauß karminroter Tulpen in der Hand, die sie von einem der Beete gepflückt hatte, er mit einer Zigarette. Die Sonne ging allmählich unter und überzog den paradiesischen Ort mit einem honigfarbenen Ton. Sogar der Hügel, auf dem schon die ersten Blümchen und Gräser aus dem Pflanzengroßhandel wuchsen, wirkte jetzt pittoresk. Ida hatte die Spuren von Hardys gestriger Buddelei restlos beseitigt. An der Stelle, wo Ali Bibos herausschauenden Fuß notdürftig wieder verscharrt hatte, war jetzt eine massive Schicht Blumenerde aufgeschüttet und darauf rosafarbene Türkenbundlilien gepflanzt worden.
»Ich kann mir vorstellen, welche Konsequenz du aus dieser Situation ziehen willst, Ali«, sagte Ida. »Aber ich möchte sie weder hören noch werde ich sie akzeptieren.«
»Das mußt du aber, Ida. Uns bleibt keine andere Wahl, als hier schnellstens zu verschwinden.«
»Und wohin?«
»Wohin wir wollen, Amerika, Australien, ganz egal, Hauptsache weit weg von diesem Alptraum .«
»Wir müßten alles aufgeben, und unsere Freunde … «
»Das sind keine Freunde! Es sind Irre! Noch schlimmer, es sind Untote, die sich an ihrer toten Vergangenheit festklammern und dabei ihr Leben pervertieren. Auch sie könnten weggehen und sich in die entferntesten Winkel der Erde verkriechen. Aber sie tun es nicht, weil sie fixiert sind auf ihr vergangenes Glück, auf ihr totes Paradies im Damals. Die Angst vor der Unberechenheit des Schicksals hat aus ihnen blutrünstige Bestien gemacht, die ihrem Egoismus alles andere opfern, um nur ja den Status quo eines vermeintlich glücklichen Lebens zu bewahren. Es ist ein Dasein im permanenten Wahnsinn.«
Ida verzog die Mundwinkel zu einem Ausdruck des Ekels. Doch sie ekelte sich offenbar nicht vor den Leuten, von denen die Rede war, sondern vor Ali.
»Und wir sind etwas Besseres, was, mein Schatz!« sagte sie, und man sah es ihrem Gesicht an, wie sie innerlich bebte. »Wir haben diese Welt betreten, um nur mal zu schauen, ob das Wetter früher tatsächlich besser war, wie man allgemein meint. Als Touristen sozusagen. Glaubst du das wirklich? Ich glaube, du solltest deinen Kopf untersuchen lassen, weil du anscheinend unter Amnesie leidest und vollkommen vergessen hast, in welch jämmerlicher Lage wir uns befunden haben, bevor wir hierherkamen. Das heißt, in welcher Lage du dich befunden hast. Ich hatte mich ja mit dem Desaster meines Lebens schon halbwegs abgefunden. Mach dir nichts vor, Ali, auch wir sind Bestien, Untote und Mörder, denen keine Abscheulichkeit zu grausam war, um den toten Status quo zurückzuerlangen. Wenn du Zweifel an meinem Standpunkt hast, brauchst du nur den Hügel dort anzusehen. Wir können nicht andauernd vor unseren Schwierigkeiten davonlaufen. Ich jedenfalls habe keine Kraft mehr dazu.«
»Aber wir fliehen diesmal nicht, Ida, wir bringen uns nur in Sicherheit. Bei unserem Vermögen könnten wir überall auf der Welt leben. Wir müssen uns nicht an so eine verdammte Sekte binden, deren Mitglieder zudem jederzeit als Massenmörder auffliegen könnten. Und wie stellst du dir vor, wie wir uns gegen unsere aufdringlichen Doppelgänger wehren sollen? Vielleicht, indem wir das Haus zu
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