Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
vorstellen.«
»Ich will keinen Neuanfang mehr. Ich will nur noch leben, ohne dafür töten zu müssen. Wir beide scheinen in der Tat schicksalhaft aneinandergekettet, Ida, aber irgendwie scheinen diese Ketten das Gegenteil ihres Zwecks zu erfüllen: Wir sind uns jetzt fremder denn je. Das ist traurig, aber das Leben ist nun eben manchmal traurig. Und weil wir diese Banalität nicht akzeptieren wollten, sind wir in dieser Hölle gelandet. Ich habe Gaston beauftragt, für die Bilder so schnell wie möglich Käufer zu finden. Wir könnten dabei etwa eine Million einstreichen. Das wäre ein hübsches Polster, mit dem wir die Entwicklung der Dinge vom Ausland aus verfolgen können. Ein langfristiger Plan existiert nicht. Außer daß ich nicht von Menschen umgeben sein möchte, die vermutlich die achte Kopie ihrer Selbst sind. Komm mit mir oder laß es bleiben. Ich brauche dich nicht mehr.«
Er ging zum Haus. Dabei spürte er plötzlich, daß er sie wirklich nicht mehr brauchte. Im Gegenteil, sie war ihm inzwischen zu einer Last geworden. Sie betete in einer muffigen Kammer ihrer Seele mit ans Wahnhafte grenzender Ehrfurcht die untergegangene alte Welt an wie einen Götzen. Schon der Versuch, diese Andachten in Frage zu stellen, wurde von ihr mit blankem Haß bestraft. Er selbst konnte sich von der Vergangenheit ebensowenig lösen, auch wenn diese inzwischen so hohl geworden war wie ein von innen zerfressener Baumstamm. Doch bei Ida war jene Zeit zum Kern ihrer selbst geworden, zu ihrem wahren Ich. Würde er sie ihr wegnehmen, bliebe von ihr vermutlich nicht viel übrig. Er hatte zwar die Tür entdeckt, doch ohne ihre Überredungskunst und ihren moralischen Druck hätte er sie niemals betreten. Sie war stets die treibende Kraft gewesen. Sie hatte die Messer gekauft und ihn zu seinem ersten Mord verleitet. Und später hatte sie mit zwanghafter Akribie Haus und Garten wieder so hergerichtet, daß es sich in ein Museum verwandelt hatte. Und sie war es auch gewesen, die die ganze Nachbarschaft zu der Feier eingeladen hatte, damit Familie Seichtem rasch und endgültig mit ihr verschmolz. Wer weiß, vielleicht hatte sie über das große Geheimnis schon vor ihm Bescheid gewußt. Er fühlte zwar immer noch Verantwortung für sie, aber wenn er ehrlich war, mußte er sich gestehen, daß er daneben nichts anderes mehr für sie fühlte. Deshalb kam es ihm auch gar nicht so ungelegen, daß sie sich gegen eine Flucht sträubte. Sollte sie doch hierbleiben, in ihrem Mausoleum der vertanen Chancen. Er würde schon allein zurechtkommen. Ja, das war die richtige Stoßrichtung für sein Leben, die einzig vernünftige Lösung überhaupt - hätte sie, als er die Eisentreppe erreichte und schon die Stufen zu der Terrasse stieg, ihm nur nicht nachgerufen: »Ali, ich komme mit!«
23
I n den folgenden Tagen verfolgten sie eine Doppelstrategie. Einerseits traf Ali sich oft mit Anton Wachs und ließ sich von ihm in Sachen Sicherheitsvorkehrungen beraten. Daß Kreuzer jr. die ganze Straße ins Fadenkreuz seiner Ermittlungen genommen hatte, höchstwahrscheinlich sogar überwachen ließ, behielt er für sich. Statt dessen vermittelte er den Eindruck des devoten Neuankömmlings, der bereit war, sich in die Gepflogenheiten der Alteingesessenen einzufügen. Wachs schien eine Autorität und eine Art Blockwart in der Straße zu sein, und Ali fand auch schnell heraus, warum. Er war einer der wenigen, der sich erfolgreich gegen die Attacken seiner Doppelgänger zur Wehr gesetzt hatte. Er hatte überlebt und wurde deshalb wie ein Stammesältester respektiert und verehrt. Bei dem Rest der Straßenbewohner handelte es sich überwiegend um die zweite, dritte, ja sogar um die vierte Generation. Es gab aber auch solche, bei denen noch überhaupt keine Doppelgänger vorbeigeschaut hatten und die ein angstfreies Dasein führten. Des Rätsels Lösung hierfür war ganz einfach: In der wirklichen Gegenwart hatten die Zurückgebliebenen schon das Zeitliche gesegnet. Krankheiten, Selbstmord, kriminelle Machenschaften, was auch immer sie dahingerafft hatte, sie hatten es jedenfalls nicht mehr geschafft, die Tür zu entdecken. Pech!
Ali befolgte Wachs Ratschläge und engagierte eine renommierte Sicherheitsfirma. Kameras wurden in verborgenen Winkeln installiert, Monitore in jedem Stockwerk aufgestellt. Die Überwachung jedes einzelnen Eingangs und jedes einzelnen Flurs war nun gewährleistet. Zudem wurden sämtliche Fenster mit Sensoren versehen, in jeden Raum
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