Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
raffinierte Elektronik eingebaut, die in der Nacht Lichtschranken zauberte, und Sirenen mit infernalischem Geheul angeschafft. Der leitende Ingenieur absolvierte mit Ali und Ida einen Schnellkursus in der Handhabung der Technik - mit solch durchschlagendem Erfolg, daß sie dreimal hintereinander versehentlich Alarm auslösten, nachdem dieser verschwunden war.
Danach ging es in den Waffenkundeunterricht. Da man sich nicht einem Verein oder einer kommerziellen Ausbildungsstätte anvertrauen konnte, hatte sich beinahe jeder zweite Nachbar im Keller seines Hauses einen Schießstand eingerichtet. Diese Übungsräume waren auf dem höchsten technischen Niveau und auch sehr aufwendig gestaltet. Die Schußschächte besaßen erstaunliche Ausmaße, in denen die Zielscheiben sogar über elektrische Seilzüge zur Kontrolle und zum Austausch bis zur Position des Schützen vorgefahren werden konnten. Es herrschte unter den Bewohnern ein richtiger Waffenkult, selbst unter den Frauen, wobei man tunlichst vermied, auch nur anzudeuten, woher die Waffen stammten. Man überhäufte die Seichtems mit Waffen, als wären es harmlose Geschenke wie Eieruhr und Korkenzieher, und mit Tips, wohin man beim Gegner zielen mußte, um ihn mit einem einzigen Schuß zu erledigen. Auch diese Dinge wurden völlig nüchtern und wie im Vorbeigehen erwähnt, wie Kochrezepte, welche durch individuelle Zutaten verfeinert worden waren. Ali fiel auf, daß Ida von der ganzen Waffenherrlichkeit ungemein angezogen wurde. Das Übungsschießen, die Fachsimpelei über die Schießeisen und die Reinigungsrituale schienen sie geradezu zu berauschen, und er fragte sich, ob sich ihrer Gartenarbeit nun ein neues Hobby zugesellt hatte, um nicht zu sagen, ein besseres.
Anton Wachs wurde in dieser Zeit für sie mehr als bloß ein guter Nachbar. Er wurde Lehrer und Führer der neuen Lebensweise zugleich, der Abt der schier klösterlichen neuen Hausordnung schlechthin. Nachdem alle wußten, daß auch die Seichtems in das Geheimnis eingeweiht worden waren, gaben die Anwohner sich überhaupt keine Mühe mehr, das Benehmen einer verschworenen Gemeinschaft zu verbergen, sondern traktierten sie unablässig mit Einladungen zu kollektiven Zusammenkünften. Es handelte sich um Einladungen solcher Natur, daß man wußte, daß sie nicht abgelehnt werden durften, auch wenn das nie direkt ausgesprochen wurde. Die Treffen selbst hätten allerdings nicht langweiliger ablaufen können. Meistens lud ein Nachbar mehrere andere zum Abendessen oder zum Grillen ein, und wenn Ali über sie nicht Bescheid gewußt und über die Stupsnasenrevolver hinten am Gürtel und die obligatorisch ausgebeulten Jacketts hinweggesehen hätte, hätte er sich der Täuschung hingeben können, daß es zum wirklichen Damals keinen Unterschied gab. Es wurde bei diesen üppigen Brunchs und Diaabenden über das, was die Gemeinschaft im Kern zusammenhielt, kaum ein Wort verloren. Die grausigen Neuigkeiten, welche vorwiegend in personifizierter Gestalt, das heißt als verhärmt und unnatürlich gealtert wirkende Neuankömmlinge zu den Treffen drangen, wurden mit völliger Schicksalsergebenheit hingenommen. Schließlich war man ja vor nicht allzulanger Zeit selbst eine grausige Neuigkeit gewesen! Allmählich kristallisierte sich für Ali heraus, daß das ständige Beisammensein weniger der gegenseitigen Kontrolle diente, als vielmehr einer Grundangst vor der übrigen Welt entsprang. Die Bewohner dieser Straße waren Verfluchte, und als solche empfanden sie sich auch, als widernatürliche, ja innerlich mißgestaltete Wesen, die wie Ausgestoßene einer Leprakolonie Wärme und Geborgenheit nur unter ihresgleichen zu finden vermochten.
Im Gegensatz zu ihm, der diese Art von Existenz als ein Irrenhausdasein empfand und sich durch sie in seinem Fluchtplan nur bestätigt fühlte, glaubte er bei Ida deutliche Anzeichen der Hingezogenheit zum Kollektiv zu erkennen. Sie schien all die sonderbar belanglosen Aktivitäten zu genießen und zu unterstützen. Das war einigermaßen verwirrend für Ali, denn sobald sie in ihre eigenen vier Wände zurückkehrten und die Tür hinter sich schlossen, widmeten sie sich ihren ganz persönlichen Plänen. Er stand mit Gaston im ständigen Telefonkontakt und ließ sich von ihm den Fortschritt der Verkaufsverhandlungen berichten. Diese verliefen, nach Gastons Jubelausbrüchen zu urteilen, bestens. Für die zehn Bilder umfassende Serie hatten bereits mehrere Käufer großes Interesse bekundet, sogar
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