Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
aus Übersee, und allem Anschein nach würde mehr Geld in die Kasse fließen, als der Galerist ursprünglich angesichts der kurzen Frist vorausgesagt hatte.
Über einen internationalen Immobilienmakler hatte Ali bereits ein kleines Landhaus in der Nähe von Bogotá in Kolumbien erworben, eine Gegend, in die sich selbst abgebrühte Gauner nicht so leicht verirren würden. Dort wollte er mit Ida so lange ausharren, bis er sein hiesiges Domizil ebenfalls über erfahrene Immobilienmakler veräußert und eine standesgemäße Behausung in einer Weltmetropole gefunden hatte. Denn Wachs' donnernde Worte im Gewächshaus klangen ihm noch deutlich in den Ohren: »Jeder überwacht jeden in dieser Straße, das ist unser unerschütterliches Grundprinzip, und diejenigen, die mit Gedanken an eine wie auch immer geartete Flucht spielen, brauchen sich nur ihre eigenen Taten zu vergegenwärtigen, um zu ahnen, welche Strafe darauf steht.«
Ali wußte natürlich nicht, ob jemals einer aus der Straße seine Fluchtpläne in solcher Geheimhaltung und mit so viel Geld im Hintergrund betrieben hatte. Eine innere Stimme sagte ihm, daß das bis jetzt nicht der Fall gewesen war. Doch selbst wenn die Gemeinschaftsmitglieder es mit der Fahnenflucht so todernst nahmen, war die Sache ihnen wirklich so viel wert, daß sie dafür Killerkommandos nach Südamerika schicken würden? Ein abenteuerlicher Gedanke. Nein, nach dem Verschwinden der Familie Seichtem würden die Zurückgebliebenen sich mit Zornesröte im Gesicht wahrscheinlich fragen, wie ihnen das bloß hatte passieren können. Danach würden sie alle Hebel in Bewegung setzen, um zu erfahren, wohin die Fahnenflüchtigen sich davongemacht hätten. Und wenn sie es je erführen, würden sowohl die wenig einladend klingende Adresse der Gesuchten als auch deren Bekanntheitsgrad sie von Racheaktionen abhalten. Außerdem: Weshalb sollten sie Leute bedrohen, die ihr kleines Geheimnis jederzeit verraten konnten? Ali war sich sicher, daß man in der Straße des permanenten Generationenwechsels die Sache irgendwann auf sich beruhen lassen würde.
Im Hause Seichtem wurden jedoch insgeheim nicht nur Geld- und Immobiliengeschäfte getätigt, sondern es wurde auch Muskelarbeit verrichtet. Ali und Ida wußten, daß Gaston nur wenige Tage vor einem Geschäftsabschluß stand und sie dann umgehend mit dem Bargeld beehren würde. Deshalb fingen sie an, alles Tragbare in Rucksäcke, Taschen und Koffer zu verstauen. Ida besorgte große weiße Stoffbahnen, mit denen sie die kostbaren Designermöbel abdeckte. Die so geschützten Teile verschnürte Ali zusätzlich mit Kunststoffseilen. Der übrige Hausrat kam erneut in Umzugskartons. Später, wenn sie in einer anderen Stadt, vermutlich auch auf einem anderen Kontinent heimisch geworden wären und die Zeit die erhitzten Gemüter in der Damalsstraße abgekühlt hätte, brauchten sie nur eine global operierende Speditionsfirma mit der Rückholung ihres Inventars zu beauftragen. Ali hatte bereits zwei Tickets nach Bogotá gebucht und mit seiner Kreditkarte bezahlt, auch wenn er den Flug jeden Tag umbuchen mußte, da der Termin von Gastons Eintreffen nicht genau feststand. Sobald sie jedoch das Geld erhielten, würden sie schon nach wenigen Minuten ein Taxi in Richtung Flughafen besteigen.
Soviel aufreibende Verstellung und konspirative Heimarbeit zerrte an Alis Nerven. An Malen war sowieso nicht zu denken, zudem gewöhnte er sich nach und nach wieder das Trinken an. Genauer gesagt, sie gewöhnte es ihm an. Die Ida, die über seinen verderblichen Dauerdurst stets geklagt und seine vorübergehende Abstinenz in den letzten Monaten mit ungläubigem, doch zunehmend anerkennendem Blick beobachtet hatte, köpfte für ihn nun persönlich die Flaschen. Eigentlich war sie es gewesen, die damit angefangen hatte, und keineswegs er, der langsam wieder auf den Geschmack gekommen war, als ihm seine alte Leidenschaft ohne jeden Anflug von Mißbilligung gegönnt wurde. Jeden Abend, wenn sie von ihren angeordneten, langweiligen Geselligkeiten nach Hause kamen oder eine weitere Etappe ihrer heimlichen Umzugsaktivitäten bewältigt hatten, stellte sie eine Flasche besten Rotweins auf den Tisch. Dabei blieb es natürlich nicht, nicht wenn man wie er auf eine so lange Karriere in dieser Disziplin zurückblickte. Gewöhnlich folgte dann noch eine Flasche, und wenn sich Ida schon ziemlich wankend ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte, genehmigte sich Ali noch das eine oder andere Gläschen
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