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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Schnaps. Seine körperliche Verfassung, die sich zuletzt deutlich gebessert hatte, fiel dadurch schleichend in den jämmerlichen Zustand seiner schlimmsten Zeit zurück. Ach, wie gern hätte er jetzt den guten alten Hardy als Zechkumpan an seiner Seite gehabt!
    Anfangs blieb es ihm ein Rätsel, weshalb Ida ihn ausgerechnet in dieser kritischen Phase zum Alkohol verführte. Und später, nun ja, später hatte er weder die Antriebskraft noch die Lust, es herauszufinden. Er soff einfach in alter Tradition weiter, ob in Anwesenheit seiner verständnisvollen Frau oder allein.
    Eines Nachts, Ida war längst zu Bett gegangen, hatte er so viel intus, daß er allmählich die Kontrolle über seine Wahrnehmung verlor. Er saß zwischen den abgepackten Möbeln vor dem Fernseher im Wohnzimmer und sah sich mit leerem Blick die Spätnachrichten an. Doch er konnte kaum mehr unterscheiden, aus welcher Zeit diese Nachrichten stammten. Präsident George Bush gab in Moskau einem Glatzkopf die Hand. War es Gorbatschow? Oder andersherum: War das überhaupt der George Bush von 1991 oder dieser andere Bush, dieser George W. Bush von 2001, sein Sohn? Wie sich die Geschichte doch absurd wiederholte! Er schwenkte den schweren Kopf zum Wintergarten und sah durch die Scheiben in den Garten hinaus. In der Ferne glaubte er lebhafte Schemen zu erkennen. Sie standen auf dem Hügel und vollführten emsige, nicht deutlich erkennbare Bewegungen wie schwarze Heinzelmännchen bei der Arbeit. Zwischendurch leuchteten in dem Silhouettengewirr helle Flecken auf, jedoch sehr schwach und nur ganz kurz. Es war schwer zu sagen, um wie viele Schatten es sich handelte. Vielleicht fünf, vielleicht zehn? Schon wieder Schattenmänner in meinem Garten! dachte Ali, senkte den Kopf und schlief auf der Stelle ein.
    Und wenn er schlief, träumte er immer wieder denselben Traum. Er befand sich wieder auf der Parallelstraße, in jenem Morgengrauen und jenem bleichen Zwielicht des wolkenverhangenen Himmels. Er sah seitlich das Schlitzmaul der Gasse im fluoreszierenden Wunderlicht auf sich zukommen, doch weder ging er, noch glitt er auf Rollschuhen dorthin. Er schwebte förmlich, aber es war kein entspanntes Schweben, kein Flug in die Erlösung. Namenlose Angst hatte von ihm Besitz ergriffen, die ihn in ein winselndes und am ganzen Körper zitterndes Häuflein Elend verwandelte. Dabei roch er den süßlichen Verwesungsgestank, der ihm mittlerweile so vertraut war, vermischt mit dem Geruch des Angstschweißes auf seiner Haut. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß sich die Quelle des einen Geruchs von der anderen gar nicht unterschied. Er war es, der wie ein verwester Leichnam stank!
    Sein starrer Blick war auf den begrenzten Ausschnitt der Gasse gerichtet, der in dem kalkweißen Licht fahl leuchtete. Ali sah den wie verrückt tanzenden Schatten an der Mauerwand, den Schatten des Monstrums, das sich in dem engen Durchlaß aufhielt und ihn bald verschlingen würde. Seinen Schattenbewegungen haftete etwas Spöttisches an, geradeso, als mache es sich durch seinen wilden Tanz über das aufgewühlte Innenleben seines Opfers in spe lustig. Der Schein roter, gelber und blauer Lichter blinkte stakkatohaft auf, flackerte an der Mauerwand, verlieh dem Schattentanz zusätzliche Dramatik. Je mehr Ali sich dem Gasseneingang näherte, um so stürmischer wurde das Spiel der Schatten und Lichter und um so intensiver seine Furcht. Er hörte sein Herz im rasenden Rhythmus hämmern, hörte den gellenden Angstschrei, der sich seiner Kehle einfach nicht entwinden wollte und doch im Hintergrund immer existent war, roch seinen eigenen ekelerregenden Leichengestank und spürte, wie all das ihm die Kontrolle über seine Blase entzog und seine Beine von einem warmen Strahl umspült wurden. Er wußte selbst im Traum, was diesen dämonischen Sog noch begleiten würde, nämlich die geheimnisvolle und doch so bekannte Stimme, metallisch und röchelnd zugleich, nach keiner menschlichen klingend, die immer wieder nur eines sagen würde: »Erdlinge, ich bringe euch den Frieden! Erdlinge, ich bringe euch den Frieden! Erdlinge, ich bringe euch den Frieden! ...«
    Aber da plötzlich, er bog schon fast um die Ecke der hervorspringenden Mauer und stellte sich innerlich auf die Konfrontation mit der Schreckgestalt ein, vernahm er etwas völlig Unerwartetes: Patricks Stimme! Sein Sohn sprach zu ihm, fröhlich und mit hallendem Klang, obwohl er zu seinen Lebzeiten nur ein paar Wörter beherrscht hatte.
    »Papi!

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