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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Papi!« rief Patrick aus den unbekannten Sphären, wo er jetzt war. »Papi, du machst doch nur Spaß, oder? Du machst Spaß, Papi, du machst lustigen Spaß. Aber es reicht jetzt, Papi, hör auf, Spaß zu machen. Hör endlich auf mit dem Spaß, Papi!«
    Die Stimme hörte sich mit einem Mal überhaupt nicht mehr fröhlich an, sondern erhielt einen bedrohlichen Unterton.
    »Schluß, Papi, mach Schluß mit dem Spaß! Der Spaß ist vorbei! Sei ein Mann, sei ein starker Papi, und komm hier rein. Komm rein, Papi, komm rein, der Spaß ist zu Ende!«
    Als am frühen Morgen Gaston anrief, war Ali noch immer von dem wiederkehrenden Alptraum in Bann geschlagen, der nur eine Botschaft zuließ: Ali mußte sich überwinden, in die Gasse hineinzugehen, mußte dem darin tänzelnden Monstrum von Angesicht zu Angesicht entgegentreten. Er mußte aufhören mit dem Spaß, den er schon so lange Zeit inszeniert hatte, und dem wahren Grauen endlich ins Auge schauen. Obwohl er durch die Gasse ja schon gegangen war, ahnte er, daß es damit diesmal eine andere Bewandtnis haben würde.
    Gaston verkündete durch den Hörer die erlösende Nachricht. Er war sich mit einem Privatsammler aus den USA handelseinig geworden. Die Gemäldeserie und eineinhalb Millionen Mark in bar würden abends in der Galerie die Besitzer wechseln. Danach, nachdem er seinen Anteil von zwanzig Prozent von der Summe abgezogen hätte, würde er ungefähr um Mitternacht zu ihm kommen, um den Geldkoffer abzuliefern. Er konnte sich trotz der Erfolgsmeldung nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, für wie albern er Alis Sonderwünsche hielt. Er ließ dabei das Wort von Divaallüren fallen.
    Nachdem Ali den Flug nach Kolumbien für drei Uhr nachts bei der Fluggesellschaft telefonisch bestätigt hatte, brühte er sich Kaffee auf und ging im Morgenmantel und mit einem dampfenden Becher in den Garten hinaus. Ida schlief noch. Der letzte Schlaf, der ihr in ihrem geliebten Haus vergönnt ist, stellte Ali traurig fest. Obwohl der Sommer zum Greifen nahe war, war das warme Wetter über Nacht umgeschlagen. Der Himmel hatte sich zu einem düsteren Wolkenbrodem zusammengezogen, die Temperatur war um mindestens zehn Grad abgestürzt, und es fielen die ersten Regentropfen, begleitet von einem starken Wind. Idas Paradiesgarten sah nun wie ausgewaschene Kleidung aus, die lediglich eine Ahnung von den ursprünglichen Farben zuließ. Tristesse beherrschte den Ort. In Kolumbien erwartete sie sicher ein Kontrastprogramm, was das Wetter anbelangte - und nicht nur das!
    Er blickte sich um und entdeckte links im Nachbargarten Haschim. Er saß mit ihm zugewandtem Rücken mitten auf dem Rasen auf einem verwitterten Gartenstuhl und rauchte. Es war ein seltsames Bild, so unwirklich, wie von einem Symbolisten gemalt. Die vom Hinterkopf nur halb bedeckte qualmende Zigarettenspitze pendelte nervös auf und nieder.
    »Einen wunderschönen guten Morgen, Haschim!« rief Ali über die niedrige Grenzmauer hinweg. Eine Mischung aus Sarkasmus und Verzweiflung über die eigene Situation hatte ihn zu diesem aufgesetzt fidelen Gruß verleitet.
    Haschim stand auf und drehte sich zu ihm um. Doch es war nicht Haschim, der ihn jetzt völlig ausdruckslos anstarrte, nicht der junge Schlawiner Haschim, den er aus früheren Tagen kannte, und nicht der gealterte geläuterte Haschim, der sein zweites Ich ermordet hatte. Nein, es war die haschimähnliche, fast nicht mehr wiederzuerkennende Drittausgabe des Arabers. Die Haare waren schlohweiß und wehten ihm in zerzausten Strähnen über das Gesicht. Die Augenhöhlen versanken hinter herabhängenden Lidern und aufgequollenen Tränensäcken, so daß sie wie schwarze Abgründe wirkten. Seine Haut war noch dunkler geworden und wirkte brüchig wie Pergament. Er wirkte geschrumpft, ja irgendwie verkrüppelt, denn sein Oberkörper sackte schief zur Seite ab, als habe er eine Beckendeformation. Auch sein schwülstiger Kleidungsstil hatte eine radikale Veränderung erfahren. Er steckte im Aufzug eines Penners. Ein löchriger Mantel mit zerrissenen Seitentaschen, ein fadenscheiniges Hemd und eine schmutzige Hose, die er sich in Ermangelung eines Gürtels am Bund mit einer Kordel festgebunden hatte.
    Doch das Schockierendste an der Gestalt war das Blut. Es hatte das ganze Gesicht besprenkelt, tropfte von seinenHänden, war überall auf seiner Kleidung als riesige Flecken zu erkennen. Die dritte Generation Haschim wirkte wie die Fleisch gewordene Ausgeburt einer kranken Phantasie. Denn es

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