Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Lärmverminderung beitrug. Aber dann besann er sich, daß er »dem einzigen«, der etwas von ihm ausstellen würde, gegenüberstand, und hielt den Mund. Denn was immer die Fliegen über die Spinne auch denken mochten, sie hatten stets Respekt vor ihr!
Gaston Beauville wurde zu einem echten Freund. Allerdings auch zu einem distanzierten. Zwar hielt er Wort, stellte Alis Gemälde aus und verkaufte mit deprimierend langen Abständen auch mal welche. Und das Beichtvaterverhältnis gedieh im Lauf der Zeit so sehr, daß Gaston über Alis Träume und Ängste bald besser Bescheid wußte als Ida. Aber er selbst offenbarte von sich kaum etwas. Zum Beispiel blieb stets unklar, ob er ein Franzose oder ein Belgier oder ein aus den ehemaligen französischen Kolonien stammender Exot war. Auch sein sonstiges Privatleben gestaltete sich recht undurchsichtig. Es umgaben ihn in fliegendem Wechsel immer neue abgetakelte und dem Alkohol stark zugeneigte Damen mit Hang zu geradezu clownesker Schminke und Kleidung, eigentlich halbe Huren. Gaston schien für sie ein vorübergehendes Auffangbecken vor ihrem endgültigen Sturz in die Entzugsklinik oder die Psychiatrie zu sein.
Auch sein Dasein außerhalb der Geschäftszeiten gestaltete sich reichlich chaotisch: Gaston hauste in einem Patchwork aus schmutziger Wäsche und Bergen schmutzigen Geschirrs sowie unbezahlter Rechnungen. Doch er besaß einen messerscharfen Kunstverstand und wußte die Spreu vom Weizen auf den ersten Blick zu trennen. Die Enttäuschung darüber, ganz oben auf dem Galeristenolymp nicht mitspielen zu dürfen, war denn wohl auch der Grund für seinen Zynismus.
Das Baby damals in seinen Armen, Florence, war die Folge einer jener desaströsen Beziehungen. Die Mutter war nach der Geburt durchgebrannt - oder vielleicht gar gestorben. Die Ursache ihres Verschwindens blieb stets eine Geschichte mit wechselndem Ende. Da jedoch Gastons Herz noch nicht zusammengeschnü rt war wie sein Äußeres, hatte er es nicht vermocht, das Mädchen zur Adoption freizugeben. Zähneknirschend nahm er die Rolle des frischgebackenen Vaters an, eine Rolle, die sich freilich bisweilen so gestaltete, daß er mit einer Hand der Kleinen Brei zuführte, während er mit der anderen das Weinglas zum Mund führte. Es ging trotzdem gut, und bald fand sich die kleine Florence in diesem Cabinet macabre der bereits am Vormittag wankenden »Mütter«, der ein- und ausgehenden durchgeknallten Künstler und der kriegsschauplatzähnlichen häuslichen Zustände besser zurecht als ihr Papa selbst.
Das alles war bereits fünfzehn Jahre her. Obgleich Ali auf dem Weg zu Ida trotz der Kälte inzwischen vollkommen verschwitzt war und mit Atembeschwerden kämpfte, konnte er sich eingedenk der alten Tage ein melancholisches Lächeln nicht verkneifen. Wenn er allerdings an jenem Tag gewußt hätte, daß ausgerechnet Baby Florence in ferner Zukunft die Hauptsache für das Ende seiner gloriosen Karriere werden sollte, wäre er schreiend aus der GALERIE B. geflohen.
Schweißtriefend und Wodkadunst in gesundheitsschädlichen Werten absondernd stand er endlich vor Idas Tür. Sie wohnte ebenfalls in einem trostlosen Bau aus den Fünfzigern mit einer grauen Fassade und Fenstern, die Schießscharten ähnelten. Der Unterschied zu seiner Behausung lag in der gutbürgerlichen Lage und dem Umstand, daß man hier den Wohnraum nicht zimmerweise vermietete.
Sein Zeigefinger näherte sich dem Klingelknopf, und ein plötzlicher Stich wie von einer heißen Nadel jagte ihm durchs Hirn, als er gewahr wurde, daß auf dem Klingelschild Idas Mädchenname stand. Natürlich hatte er derlei Schocks schon vorher erlebt. Beim Anblick des juristischen Papierkrams nach der Scheidung zum Beispiel oder bei den vergeblichen Kontaktversuchen, als er bei Idas verschiedenen Arbeitsplätzen anrief, und man ihm mitteilte, daß dort niemand unter dem Namen Seichtem beschäftigt sei. Trotzdem empfand er immer noch eine zutiefst verstörende Kränkung, wenn ihm so deutlich vor Augen geführt wurde, daß sie nicht mehr seinen Namen trug. Sie war stets so stolz darauf gewesen, Frau Seichtem genannt zu werden.
Ali klingelte, und nach einer Weile, in der er vor Anspannung zitterte, meldete sie sich über die Gegensprechanlage.
»Ida, ich bin's!«
Vielleicht lag es an seiner wie ein heiseres Bellen klingenden Stimme, daß sie nicht antwortete. Er hatte sich ein wenig bedrohlich angehört. In seinem tiefsten Innern wußte er jedoch, daß sie sich mit ihrem
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