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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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und?«
    »Hast du sie gesehen?«
    Ihr schelmisches Lächeln wich einem wissenden.
    »Natürlich habe ich sie nicht gesehen, Ali. Wie du dich vielleicht erinnerst, hatten wir an unserem Einzugstag etwas Wichtigeres zu tun, als uns ständig am Fenster oder vor der Tür zu zeigen. Wir waren vollauf damit beschäftigt, Kartons auszupacken und Möbel zu rücken. Aber sie sind da, das weiß ich jetzt.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich.«
    Über ihr verschattetes Gesicht legte sich eine melancholische Verklärtheit. Sie neigte den Kopf, und einige Haarsträhnen fielen über ihre dunklen Augen, so als sollten sie das innere Auge der Erinnerung darin gegen jede Ablenkung von außen abschotten.
    »Ich habe mich ein bißchen maskiert, habe mir Hut und Sonnenbrille aufgesetzt und einen Schal vor das Gesicht gehalten, als sei ich erkältet. Dann habe ich den Schritt von der Gasse auf die Straße getan. Ohne einen Blick auf das Haus zu riskieren, bin ich schnell die Straße runter in Richtung Innenstadt geeilt. Ich glaube nicht, daß unsere Freunde mich dabei beobachtet haben. Als ich ein paar Straßen weiter war, konnte ich mich tatsächlich etwas entspannen. Ich habe mir alles um mich herum genau angesehen, konnte aber keinen greifbaren Hinweis darauf erkennen, daß ich mich im Jahre '91 aufhielt. Die Leute waren keine Spur anders angezogen als heute, und ich habe sogar ein paar Männer mit Han dys gesehen. Aber in der Innens tadt fiel mir zum ersten Mal auf, daß aus den Boutiquen und Musikläden Songs wie › Crazy ‹ von Seal oder › Joyride ‹ von Roxette kamen und nicht dieses ewige Techno- und Rap-Getöse.«
    Ali merkte, wie ihm langsam warm ums Herz wurde, wie er in Gedanken in das einzige Paradies versank, aus dem man bekanntlich nicht vertrieben werden kann, nämlich in die Vergangenheit, und wie in seiner Erinnerung die Zeit der schönsten Tage mit Ida an seiner Seite wieder lebendig wurden.
    »Also habe ich mir bei einem Kiosk eine Zeitung besorgt«, fuhr Ida mit entrücktem Blick fort. »Und fühlte mich angesichts des Titelblatts etwa so, wie du dich den ganzen Tag gefühlt hast. Laut der Schlagzeilen war der Golfkrieg gerade zu Ende gegangen, und die IRA hatte es geschafft, in der Downing Street Number 10 Bomben hochzujagen. Aber außer diesen veralteten Meldungen und dem Umstand, daß fast aus jedem vorbeifahrenden Auto › Let's Talk About Sex ‹ herausplärrte, konnte ich nichts Spektakuläres entdecken. Alles ging seinen alltäglichen Gang wie immer, wie heute. Das hatte ich erwartet oder besser gesagt gehofft.
    Schließlich schlich ich mich durch die Tür in die Gasse zurück, durchquerte sie und befand mich wieder im Heute. Zumindest hoffte ich, daß es so wäre. Denn bei dem Gedanken, so ganz allein oder in der doppelten Variante meines Selbst im Jahre '91 zu stecken, überfiel mich die nackte Panik. Ich rannte direkt zum nächsten Kiosk und besorgte mir wieder eine Zeitung. Der Blick auf das Titelblatt beruhigte mich allerdings schnell: Die Nachrichten waren ohne Zweifel von heute und nicht von '91.«
    Ein Blitz des Triumphs funkelte in ihren im Dämmerlicht versteckten Augen auf, und sie grinste.
    »Wir können es trotzdem nicht tun«, sagte Ali, stand auf und spazierte mit dem fast leeren Becher in der einen Hand, mit der anderen seine Kopfhaut massierend im Kreis.
    »Warum nicht?« wollte Ida wissen.
    »Weil wir keine Mörder sind. Ganz einfach.«
    »Wir sind auch keine Mörder. Wenn sie weg sind, werden wir einfach ihre Stelle einnehmen. Sie und wir sind ein und dieselben, bloß daß wir zehn Jahre älter sind. Sie sterben nicht wirklich, sie leben in uns weiter.«
    Das war natürlich Humbug. Wenn eine Person in der damaligen Welt starb, so konnte der noch lebende Doppelgänger aus der anderen Welt durch seine bloße Existenz den Tod des anderen nicht einfach wieder ungeschehen machen. Aber Ali begann sich langsam an den verlockenden Gedanken zu gewöhnen. Da gab es nur ein kleines Problem: Wie, um Himmels willen, sollte er zwei Leute mit diesen Hitchcock-Messern abschlachten?
    »Wann?«
    Fürwahr eine schlichte Frage. Täuschend schlicht, wenn man die Konsequenzen bedachte. Wann? - Klang nach einem Dialogfetzen aus einem Mafia-Killer-Streifen. Anderseits wußte er nicht, was er sonst sagen sollte.
    »Jetzt gleich, nachdem du deinen Kaffee ausgetrunken hast!«
    Nun, das klang weniger schlicht. Es klang nach Entschlossenheit und ließ keinen Zweifel zu, daß es jetzt ernst wurde. Vor allem aber klang

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