Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
und fixierte den kleinen Ausschnitt des Sternenzelts zwischen den Ziegelsteinmauern. In seiner weiten Manteltasche ruhte eins der Gemüsemesser, weshalb er sich auch nicht traute, die Hand hineinzustecken. Obwohl er die Anspannung spürte, war ihm gleichzeitig zum Schmunzeln zumute. Die Situation war fast zu irreal, als daß er sie ganz hätte ernst nehmen können - unglaublich, wäre das treffendere Wort gewesen. Ja, unglaublich. Denn Ali wäre gegenwärtig eher bereit gewesen, an die Existenz von Feen und Trollen zu glauben, als an das, was in wenigen Minuten geschehen sollte.
Aber weshalb war er dann hier, stand in der Eiseskälte in einer grabschwarzen Gasse hinter seiner Ex-Frau, die den Eindruck vermittelte, als sei sie zwischenzeitlich durch eine diabolische Kopie ersetzt worden, fürchtete, daß man ihn von der gegenüberliegenden Straßenzeile aus sehen könnte, obwohl er doch gar nichts verbrochen hatte, und fühlte zu seinem eigenen Entsetzen sogar eine gewisse Vorfreude in Gedanken an das Gewicht in seiner Manteltasche? Gern hätte er sich eingeredet, daß er sich nur leiten ließ, daß er Idas Verführungskünsten erlegen war, gegen die er einfach keinen Widerstand aufzubringen vermochte, so psychisch am Boden, wie er war. Doch wenn er tief in sich hineinhorchte, ahnte er, daß das nicht stimmte. Ein Teil von ihm, ein böser Schatten, der schon immer im Hintergrund gelauert hatte, wollte es so ! Er hatte es so gewollt, seitdem er die beiden heute morgen vor dem Haus gesehen hatte. Nichts war unglaublich, und schon gar nicht war irgend etwas zum Schmunzeln. Es würde geschehen, daran gab es keinen Zweifel.
Er senkte den Blick von den Sternen und richtete ihn auf das Haus. Idas Erinnerung hatte nicht getrogen. Das einzige beleuchtete Fenster an der Klinkersteinfassade war das rechts gelegene im ersten Stockwerk. Dahinter verbarg sich das Büro, wie sie es damals hochtrabend genannt hatten. Hochtrabend deshalb, weil es sich um einen sehr schönen kleinen Raum mit Flügeltüren handelte, in dem der gerade zu Ruhm und Reichtum gekommene Künstler sich um das Finanzielle hätte kümmern sollen, es aber eigentlich nie tat. Verträge, Rechnungen und Briefe vom Finanzamt lagen wild durcheinander, und anstatt eines Kassenbuches und Ordnern für die geschäftlichen Unterlagen standen auf dem Tisch immer viele leere Rotweinflaschen. Seine Arbeit und seine Ausschweifungen ließen es nicht zu, daß das Büro den Namen auch nur ansatzweise verdiente. Zu jener Zeit jedoch, als sie frisch eingezogen waren, gab er noch den vorbildlichen Geschäftsmann ab. Tatsächlich brütete er in den ersten Monaten bis in die tiefe Nacht hinein über Zahlen, in steter Furcht, sich mit dem Traumhaus übernommen zu haben. Dann, als allmählich klarwurde, daß die ganze Pracht kein kurzer Traum gewesen war, daß die Zukunft sich besser entwickeln würde als gedacht, widmete er sich allem Möglichen, nur nicht mehr dem drögen Bürokram.
Die Jalousien waren heruntergelassen. Dennoch stach das Licht der Leselampe durch die Ritzen zwischen den einzelnen Lamellen, so daß das Fenster in einem behaglichen Dämmer strahlte. Und hinter diesem Dämmer sollte der zweiunddreißigj ährige Ali sitzen? Seichtem wußte wieder nicht, was er glauben sollte. Es war jetzt elf Uhr vorbei, und die Mondsichel und die Sterne tauchten die Straße in einen bleichsüchtigen Schein. Die Gründerzeitgebäude mit ihren facetten- und ornamentreichen Stirnseiten lagen in diesem bläulichen Schimmer und wirkten wie seit Jahren unbewohnt, ja wie Spukhäuser. Ein kalter Wind wehte ihm noch einmal den klaren Geruch des hinscheidenden Winters in die Nase. Es war keine Menschenseele auf der Straße, was für diese Uhr- und Jahreszeit nicht ungewöhnlich war, und doch hätte Ali sich etwas Unvorhergesehenes, einen Fehler in Idas Plan gewünscht, der sie beide noch in letzter Minute zur Besinnung brächte. Vergebens.
»Die erste kritische Phase ist, die acht oder zehn Meter bis zum Haus zu schaffen, ohne von den Nachbarn gesehen zu werden.«
Ida wandte sich zu ihm um. Der Abglanz der Sterne erfaßte ihr Gesicht und verlieh ihm eine morbide Anmut. Die vom Alter gezeichnete Haut erhielt eine trügerische Glätte, in den Augen funkelten vierzackige Sternchen, und die vollen Lippen brannten in tiefem Bordeauxrot. Sie ähnelte einem Nachtgeschöpf, das trotz der Gefahr, die von ihm ausging, faszinierte.
»Deshalb werden wir die Straße ganz langsam überqueren, so als
Weitere Kostenlose Bücher