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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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betraten sie den mit Pflastersteinen belegten kleinen Vorhof, stiegen die fünf Betonstufen hinauf und standen dann endlich im Garten. Es war ein rechteckiges Wiesengrundstück von zirka dreihundert Quadratmetern, gleichzeitig die Musterform für alle hinter dem Häuserkordon angelegten, aus der Vogelperspektive wie ein grünes Raster aussehenden Gärten. Zum Haus hin wurden die Längsseiten von Rosensträuchern, Kräuterbeeten, Fliederbäumen und kleinwüchsigen Zierbäumen gesäumt, so daß ein ungehinderter Blick zum jeweiligen Nachbarn noch möglich war. Erst im hinteren Teil, dort, wo die Grenzmauer zum benachbarten Garten aufragte, wurde das Gelände unübersichtlich. Haushohe Bäume, eine alles zu umarmen scheinende Trauerweide und ineinanderwuchernde Pflanzen bildeten ein lichtarmes und allein vom Haus aus einsehbares abgeschlossenes Terrain. Im Frühling und Sommer wuchs in diesem Bereich sogar ein richtiges Dach in Form der Blätter an den Baumkronen. Das überwältigende Dunkelblau mit den wie aus dem Hintergrund angestrahlten Nadelstichen funkelnder Sterne wölbte sich nun über dieses Himmelreich gleich einer süßen Verheißung. Zwar war alles nur Silhouette, doch gerade diese Schwärze diente Ali als eine Projektionsfläche für tausende von sentimentalen Erinnerungsschnipseln und Stimmungsbildern, die hier ihren Ursprung hatten.
    Trotz der ihn überwältigenden Gefühle angesichts seines wieder zurückerlangten Paradieses wollte ein anderer Teil von ihm in ein Hohngelächter ausbrechen - und zwar über sich selber. Mein Gott, seine Kritiker hatten ja vollkommen recht gehabt: Er war wahrhaftig der Provinzialismus in Person! Welcher zeitgenössische Maler sonst hätte sich solch ein heimeliges Nest in diesem Mittelstandsfriedhof ausgesucht? Es gab unter Künstlern eigentlich nur zwei Wohntypen. Die Wilden, die in Lofts in London oder Amsterdam oder New York residierten, und zwar in Stadtteilen, welche sich gerade von ihrem Slum-Image erholten (was übrigens keine schlechte Immobilieninvestition war). Und die Freunde der Sonne, die mediterrane Gefilde bevorzugten, deren Namen mit »Costa del« oder »C ô te d'« begannen. Doch nicht einmal diejenigen, die halb so viel Erfolg gehabt hatten wie er, wären wohl je auf die Idee verfallen, sich zwischen rolextragenden Autosalonbesitzern und Zahnärzten mit Steuersparmodell-Fimmel einzurichten. Das waren doch alles armselige Kreaturen, die sich denkmalgeschützte Häuser nur deshalb anschafften, weil sie aus irgendwelchen VIP-Magazinsendungen erfahren hatten, daß alte Kästen mit Erkern das Nonplusultra seien. Noch vor zwanzig Jahren hätten diese Banausen in Flachdachbungalows mit 3x5-Meter-Swimmingpools und Doppelgaragen in der Walachei gehockt.
    Erkenntnis jedoch schützte vor Wiederholung nicht. Obwohl ihn die damalige Sehnsucht, mit den Neureichen gleichzuziehen, jetzt anwiderte, wurde der andere Teil von ihm von einem warmen Glücksstrom umspült. Er tat zwar nichts anderes, als in einem einfachen Garten zu stehen, und noch besaß er im Hinblick auf einen Eigentumswechsel keinen Grund zu frohlocken, weil das unaussprechliche Werk ja noch gar nicht angegangen, geschweige denn vollendet war. Und doch verschaffte ihm dieses bloße Stehen in seinem Garten einen regelrechten Eroberungsrausch, wie ihn wohl nur Feldherren in früheren Zeiten empfunden hatten. Und ihm wurde übel bei dem Gedanken an sein Liliputanerzimmer in der bepißten Wohnkaserne am Stadtrand, ohne die geringste Aussicht ... auf all das!
    Ida wandte sich um und schaute ihm bedeutungsvoll in die Augen. Er wußte, daß dieser Blick den endgültigen Startschuß bedeutete. Wenn sie jetzt losgingen, würde es tatsächlich kein Zurück mehr geben. Als Ali in dieses Gesicht sah, auf dem die blaue Düsternis des Himmels wie ein Trauerschleier lag, und das im Gegensatz zu vorhin so verletzlich wirkte, da fragte er sich erneut: Wie hat es nur dazu kommen können? Und: Was habe ich aus dieser Frau gemacht?
    Sie nickte, und sie brachen auf. In geduckter Haltung schlichen sie über das Gras, das sich im Winter stark gelichtet hatte. Sie hielten sich rechts, in Richtung der niedrig gelegenen Terrasse vor der Küche. Bereits als sie ein paar der Eisenstufen erklommen hatten, bemerkten sie, daß Idas Gedächtnisprotokoll auch diesmal korrekt gewesen war. Die Tür stand eine Handbreit offen. Ida ging jetzt vor, stieß die Tür ganz auf und stieg dann über die hohe Stufe in die Küche. Die Finsternis brach

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