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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Jahre hinweg, die Enttäuschung über den chronisch fremdgehenden Ehemann und schließlich der Schmerz der Trennung waren für sie ebenfalls unbekannt. Kurz, die Ida, die im Schlafzimmer lag, lag auch fern allen Leids, körperlichen wie seelischen, das in diesen verdammten zehn Jahren gefolgt war, sie hatte nicht in den Abgrund geblickt wie seine Ida, ja, befand sich noch im Stadium beinahe paradiesischer Unschuld. Und die unaussprechliche, gleichwohl die einzige Wahrheit war: Er konnte mit der jungen Ida einen neuen Patrick zeugen!
    Gewiß wäre es damit allein nicht getan. Er hätte trotzdem noch den jungen Ali umbringen müssen. Und dann hätte er die junge Ida aufwecken und ihr die ganze Schweinerei erklären müssen. Was würde sie dazu sagen? Würde sie ihm überhaupt glauben? Würde sie nicht eher einen Schock erleiden, schreiend weglaufen und die Polizei holen? Und wie um alles in der Welt sollte er dann der Polizei all dies begreiflich machen?
    Aber es war sowieso zu spät. Ali sah durch die Lücken zwischen den letzten oberen Stufen Idas Schuhsohlen, und im nächsten Moment waren sie schon verschwunden. Sie hatte bereits das erste Stockwerk erreicht und schlich sich nun ins Schlafzimmer. Nun war er an der Reihe. Bevor er sich in weiteren Spekulationen verlor, gab er sich einen Ruck und begann die Wendeltreppe hochzusteigen. Es ging besser, als er erwartet hatte. Obwohl eine Stahlkonstruktion, die normalerweise bei jedem Tritt leicht vibrierte und ein leichtes Hallen verursachte, ließ sich die Treppe geräuschlos erklimmen, wenn man sich storchengleich gestelzt und extrem langsam bewegte. Mit zitternden Knien zwar und durch das gepreßte Atmen ein wenig außer Puste, gelangte Ali nach oben, ohne daß jemand das geringste hätte hören können. Schließlich stand er in dem L-förmigen Flur. Die lange Linie des Ls führte am geräumigen Bad vorbei ins Schlafzimmer im Rückteil des Gebäudes, wogegen die kurze Linie das Verbindungsstück zu dem zweiten Wintergarten darstellte. Das Licht aus dem Büro war hier schon erheblich heller, trennten ihn doch von seiner Quelle nur noch zwei Räume. Diese waren durch einen beinahe die gesamte Wand einnehmenden Durchbruch miteinander verbunden und mangels Einrichtungsgegenständen völlig kahl. Hinten links gewährte die offenstehende Flügeltür Zutritt in das sogenannte Büro.
    Ali betrat den Wintergarten, dessen Fliesen ein Schachbrettmuster aufwiesen, und warf über die Schulter noch mal einen Blick auf die Sterne. Dabei wurde er unversehens mit seinem eigenen Spiegelbild an der Panoramascheibe konfrontiert und erschrak: eine unrasierte, schmutzige Gestalt in einem kaftanartigen Mantel, die ein monströses Gemüsemesser emporhielt und mit aufgerissenen Augen so theatralisch erregt dreinschaute wie der Unhold im Stummfilm. War das wirklich er? Er wandte sich wieder vorwärts und schlich mit der gleichen Behutsamkeit, mit der er die Treppe erstiegen hatte, in den ersten Raum. Kein Knistern, kein Knirschen und kein Knarren, nichts. Er atmete nun wieder regelmäßig und leise. Das Licht wurde noch intensiver; er erkannte jede Einzelheit, genauer gesagt, jede Einzelheit der ergreifenden Leere zwischen den hohen Wänden.
    Er erreichte den zweiten Raum. Einzelne Schweißtropfen fielen von seinem Kinn auf den Boden, Schübe von Panik und Euphorie wechselten sich in Bruchteilen von Sekunden ab, seine hochgestreckte Faust war nun mit dem Messer eins geworden, Bilder von geschlachteten Tieren wirbelten vor seinem geistigen Auge, seine volle Blase meldete sich, eindringlich, sehr eindringlich, er sah linker Hand bereits die beiden zurückgeklappten weißen Türen und wie daraus das helle Licht herausströmte wie magischer Staub, dann den Schatten, diesen riesigen Schatten an der Wand, und ganz plötzlich versammelten sich alle seine Sinne in seinem rechten Fuß und spürten schockartig, wie der ein klein wenig nachgab: Ein lautes Knarren, o Gott, o Gott, ein lautes Knarren!
    Er war auf eine der gefährlichen Dielenbretter getreten. Hatte Ida ihn auf dieses eine auch hingewiesen? Er wußte es nicht mehr. Statt dessen redete er sich ein, daß das Geräusch ja kaum wahrnehmbar gewesen sei. Ein altes Haus knarrte und ächzte nun mal. Wer dachte sich schon etwas dabei? Er blieb regungslos stehen und verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß. Dann setzte er diesen auf ein benachbartes Brett und nahm den bösen Fuß ganz vorsichtig hoch. Wieder knarrte es, diesmal sogar noch lauter!

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