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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Fluß. Patrick war immer noch vollauf mit seinem Roboter beschäftigt, den er mal gehen, mal seine Sprüche aufsagen ließ. Ali folgte ihm mit der Konzentration eines Schlafwandlers. Das Sonnenlicht ertränkte alle Konturen, verlieh jedem Haus, jedem Gegenstand und jedem Passanten eine Korona, so daß alles vor seinen müden Augen in einem Meer aus Helligkeit und Unscharfe versank. Die Hitze setzte ihm zusätzlich zu und lahmte seine Wahrnehmungsfähigkeit. Sie erreichten die Innenstadt, eine belebte Straße. Sie erstreckte sich entlang einer ausladenden Kurve über mehrere große Geschäftsgebäude hinweg. In der Mitte der Fahrbahn befanden sich Straßenbahnschienen, die den Fluß des Autoverkehrs an den Seiten beeinträchtigten. Ali wurde erneut von Schwindel erfaßt, und er spürte das leise Branden einer Übelkeit. Selbsthaß, Hoffnungslosigkeit und eine erste Ahnung von etwas Schrecklichem schlugen über ihm zusammen wie eine gigantische Welle. Jetzt war es ihm vollkommen egal, womit Ida ihm gedroht hatte, sobald ein Taxi auftauchte, würde er mit Patrick wieder zurück nach Hause fahren.
    Er lehnte sich gegen eine Straßenlaterne und steckte sich eine Zigarette an. Obwohl er genau wußte, daß das wirklich die falscheste Medizin gegen die Übelkeit war, fiel ihm nichts Gescheiteres ein. Dabei sinnierte er über verschiedene Zukunftsalternativen seines desolaten Lebens. Alternative Nummer l: Scheidung! Wer war heutzutage schon so lange verheiratet wie er? Ali jedenfalls kannte niemanden. Aber wieso sollte er das tun? Was würde ihn bei der nächsten (selbstredend jüngeren) Frau schon so Großartiges erwarten? Eine Wiederholung der vorherigen Historie, vielleicht sogar mit weniger Würze! Außerdem liebte er Ida ja immer noch, auch wenn die Unterleibsgymnastik mit ihr inzwischen so aufregend war wie das Zerstampfen von Weintrauben im Lesefaß. Alternative Nummer 2: weniger saufen, weniger fremdgehen, vor allem diskreter, und sich mehr um den Kleinen kümmern. War er imstande dazu? Wenn er sich einen Schnappschuß von seinem augenblicklichen Zustand vorstellte, wohl kaum! Alternative 3: in der Tradition cooler Künstler - der unverwüstliche Picasso kam ihm wieder in den Sinn - allen Ärger an sich abprallen lassen, einfach weitermachen wie bisher, sich ausschließlich auf die Kunst und das Geld konzentrieren und …
    Seichtems krause Entscheidungsfindung wurde jäh von einer Beobachtung unterbrochen. Der Roboter überquerte gerade die Straße. Es war ein drolliger Anblick, wie er in seinem Invalidengang tapfer über die Fahrbahn stakste und bereits eine gute Strecke hinter sich gelassen hat te. Ali hatte während des Grübel ns über seine tausend Sorgen gar nicht gemerkt, daß Patrick ihn schon vor einer Weile vom Bordstein heruntergesetzt hatte. Der Blechkamerad, dessen penetrante Metallstimme durch die ganze Straße hallte, hatte Glück. Denn zufällig fuhr gerade kein einziger Wagen vorbei. Es hatte schon etwas Gespenstisches, wie leer die Straße plötzlich war. Sogar die Anzahl der Passanten hatte sich mysteriöserweise auf ein paar Gestalten reduziert, die wie verhuschte Schatten wirkten, ja, die eher reinen Bewegungsabstraktionen glichen als sich fortbewegenden Menschen. »Ein zweijähriges Kind bei dichtem Verkehr aus den Augen zu lassen ist Mord«, hatte Ida ihm seit damals immer wieder vorgeworfen. Aber so war es ja nie gewesen. Und nicht nur das. Ali hatte mit einem Mal das Gefühl, als würde ein Tonfilter sämtliche Geräusche aus der Straße wegsaugen, als verwandele sich der ganze Ort in ein Vakuum. Bis auf den pathetischsten Spruch des Roboters. Der war noch zu hören, und wie er zu hören war, laut und deutlich, geradezu dröhnend und unter Hall, nur dieser eine Satz, immer und immer wieder dieser eine Satz, unter der strahlenden Sonne, in der Hitze ...
    Muß wohl den kleinen Kerl retten, bevor ihn ein Ford oder ein Mercedes unter seinen Reifen zum Schweigen bringt, dachte Seichtem und schmunzelte innerlich. Patrick wäre untröstlich gewesen, so sehr, daß die Eltern mindestens drei Tage lang therapeutischen Notdienst hätten verrichten müssen, um ihn den Verlust vergessen zu machen. In diese Überlegungen brach plötzlich ein anderes Geräusch hinein. Hart und quietschend und mächtig, sehr mächtig . Ebenfalls ein Metallgeräusch.
    Ali blickte nach links in Richtung des Geräusches und sah eine über und über mit Graffiti besprühte Straßenbahn mit enormem Tempo um die Kurve kommen! Dann

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