Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
wurden, nur noch ein süßer Fratz fehlte, wurde nicht direkt ausgesprochen. Aber je länger der wunderbare Zustand andauerte, gar zur langweiligen Normalität verkam, fand man auch immer öfter Worte für das Verlangen. Zudem hörte Ida wohl immer vernehmlicher ihren biologischen Wecker rappeln, und, verdammt noch mal, was sprach eigentlich dagegen? Andere Künstler, schon gar Maler, hatten so viele Kinder, daß sie nicht einmal wußten, wie viele. Patrick schwebte also schon eine ganze Weile unsichtbar über ihren Köpfen, bevor Ida mit ihm schwanger wurde. Doch als sie dann schwanger wurde, flippte Ali vollends aus. Zwar freute er sich auf den Jungen, aber der Wunsch, die Karikatur eines Künstlerlebens nachzuholen, die Exzesse eines egomanen Genies, wurde in ihm übermächtig. Er verlor sich in Frauengeschichten, Alkohol und in unverhülltem Müßiggang. Manchmal blieb er tagelang weg, und wenn er zurückkam, fand er eine heulende, nicht mehr so ganz junge Schwangere heulend in einem mit sündhaft teuren Möbeln und Accessoires eingerichteten Wohnzimmer vor, was ihn derart deprimierte, daß er sich unverzüglich in den nächsten Exzeß stürzte. Von der Geburt seines Sohnes hatte er nach zwei Tagen erfahren, in den Armen einer Gelegenheitsnutte, welche die nervige Angewohnheit hatte, jeden Telefonanruf entgegenzunehmen, die Nase verstopft mit Koks. Danach wurde es besser, besser mit Patrick, denn er liebte diesen kleinen Kerl abgöttisch, auch wenn er die Drecksarbeit Ida überließ. Eigentlich gab er den Papa nur ab, wenn er eine kreative Phase durchmachte und an das Haus gekettet war. Ansonsten rannte er atemlos dem Hirngespinst des jede bürgerliche Konvention ignorierenden Künstlers hinterher, das auszuleben in seinen Jugendjahren nicht möglich gewesen war. Provinziell eben. Dadurch wurde sein Verhältnis zu Ida, inzwischen eine traurige Mutter, immer schlechter und schlechter, bis zum grausamen Schluß - bis Marokko, Marrakesch, den Souks ...
Patrick lächelte ihn an, begeistert über den seltenen Umstand, Papa wieder leibhaftig vor sich zu sehen. Er hielt mit beiden Händen den Roboter umklammert, den Ali ihm zu seinem zweiten Geburtstag geschenkt hatte. Es handelte sich um einen sehr großen, silberglänzenden Blechkameraden mit allerlei Extras. Er konnte seinen eckigen Kopf, in dem ein Gesicht mit Augen aus feuerfarben blinke nden Lämpchen und einem Schrift- Display-Mund prunkte, zur Gänze um die eigene Achse drehen. Klappen an seiner Panzerbrust öffneten sich automatisch, und zum Vorschein kamen mechanische Innereien mit stakkatohaft leuchtenden roten, gelben und blauen Lichtern. Dann fuhren Kanonen aus und vibrierten, während sie Schußgeräusche von Laserwaffen erzeugten. Auch sie pulsierten signalrot. Am besten aber waren die Bewegungen des Roboters. Er konnte gehen, zumindest imitierte er es leidlich. Er rollte den einen Fuß nach vorne, an dessen Ferse sich kleine Gummiräder versteckten, bremste und zog den anderen Fuß nach, bremste wiederum mit diesem und fing wieder von vorne an. Das Ganze sah zwar aus, als riskiere ein Invalide seine ersten Gehversuche in der Rehabilitationsklinik, aber immerhin! Dabei ließ er den Torso hin- und herschwenken und ruderte mit seinen Armen. Patrick war vernarrt in das Ding.
Der Roboter konnte auch sprechen. Ein Sprachchip aus seinem Innern ließ mit einer metallisch röchelnden Stimme halbmartialische Botschaften verlauten. Halbmartialisch deshalb, weil die Hersteller wohl einen Kompromiß zwischen den mit der Kriegsspielzeugdiskussion vertrauten Eltern, die das Zeug ja schließlich kauften, und der kindlichen Aggression eingehen mußten. Ali hätte es nicht im mindesten gestört, wenn der Blechkamerad Patrick zum Serienkiller abgerichtet hätte. Was ihn jedoch wirklich zum Rasen brachte, so sehr, daß er schon mit dem Gedanken schwanger ging, den Roboter heimlich mit einem Baseballschläger in tausend Stücke zu zertrümmern, waren diese drei oder vier dumm-pathetischen Sprüche, die er immer und immer wieder von sich gab. Patrick konnte sich einfach nicht satt hören an dem Gequake. So langsam verstand er, daß man jemandem kein Brandeisen auf die Stirn zu drücken brauchte, um ihn der Folter zu unterziehen, sondern daß es vollkommen ausreichte, ihn ewig mit ein- und demselben Blödsinn zu berieseln. Im Traum erinnerte sich Ali an diese ärgerlichen Empfindungen, die aus heutiger Sicht so gegenstandslos erschienen wie Fürze in der Wüste. Aber an eins
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